Inseln im Netz
brauchst du das? Wenn du was wissen willst, brauchst du es doch bloß vom Netz abzurufen.«
»Ich weiß nicht, Kind. Ich bin soviel unterwegs - all diese Dinge sind für mich wie ein Heim.« Sie legte Kleider zusammen. »Außerdem mag ich das Netz nicht. Schon dem Kabelfernsehen konnte ich nie etwas abgewinnen.« Sie zögerte. »Dein Vater und ich stritten oft darüber. Wenn er noch lebte, würde er ein richtiger Netzkopf sein.«
Die Idee kam Laura albern vor. »Komm schon, Mutter.«
»Er haßte Unordnung, dein Vater. Schöne Dinge waren ihm gleichgültig - Lampen, Teppiche, Porzellangeschirr. Er war ein Träumer, schätzte Abstraktionen. Mir warf er vor, materialistisch zu sein.« Sie zuckte die Achseln. »Deswegen hat meine Generation immer eine schlechte Presse gehabt.«
Laura machte eine ausgreifende Armbewegung. »Aber Mutter, sieh dir bloß all diese Dinge an.«
»Laura, ich mag meine Besitztümer, und ich habe für alle bezahlt. Vielleicht schätzen die Leute Besitztümer heutzutage nicht mehr so, wie wir es vor der Jahrtausendwende taten. Wie könnten sie auch? Die Gebühren, die sie für den Gebrauch des Kommunikationsnetzes zahlen müssen, fressen ihr ganzes Geld auf. Computerspiele, Fernsehen, Videofon, Telefax - nicht zu reden von den geschäftlichen Verwendungen. Hauptsache, sie haben einen Bildschirm vor sich.« Sie zog den Reißverschluß ihrer Reisetasche zu. »Vielleicht sind die jungen Leute heutzutage nicht hinter einem Mercedes oder einem Jacuzzi her, dafür prahlen sie, wie viele Megabytes ihr Datenanschluß speichern oder verarbeiten kann.«
Laura wurde ungeduldig. »Das ist albern, Mutter. Es ist nichts daran auszusetzen, wenn einer stolz darauf ist, was er weiß. Ein Mercedes ist bloß eine Maschine. Er beweist nichts über dich als Person.«
»Die Leute, von denen ich spreche«, erwiderte ihre Mutter, »sind nicht stolz auf ihr Wissen, sondern auf die Vollkommenheit ihrer Datentechnik. Ich sage dir, es ist genau das gleiche Besitzdenken.«
Lauras Uhrtelefon piepte und enthob sie der Notwendigkeit, zu antworten; das Elektromobil war vorgefahren.
Sie half ihrer Mutter das Gepäck hinuntertragen. Sie mußten dreimal gehen. Laura wußte, daß sie auf dem Flugplatz würde warten müssen, also nahm sie Loretta in einer Sitzschlinge zum Umhängen mit.
»Laß mich diese Fahrt bezahlen«, sagte ihre Mutter und steckte ihre Kreditkarte in den Zahlschlitz des Elektromobils. Die Tür entriegelte sich, sie verluden das Gepäck und stiegen ein.
»Guten Tag«, sagte die mechanische Stimme des Fahrzeugs. »Bitte sprechen Sie Ihr Fahrtziel klar ins Mikrofon. Anunce usted su destinacion claramente en el microfono, por favor.«
»Flugplatz«, sagte Laura.
»Danke sehr! Die geschätzte Fahrzeit beträgt zwölf Minuten. Ich danke Ihnen für die Benutzung des städtischen Verkehrssystems. Alfred A. Magruder, Bürgermeister.« Das Elektromobil beschleunigte träge, sein bescheidener Elektromotor winselte. Laura zog die Brauen hoch. Es war nicht der Spruch, mit dem die Elektromobile sonst aufwarteten. »Alfred A. Magruder, Bürgermeister?« murmelte sie.
»Galveston ist ein Vergnügungsort!« antwortete das Elektromobil. Laura und ihre Mutter tauschten Blicke. Laura hob die Schultern.
Fernstraße 3005 war die Hauptarterie durch die Insel. Die Glanzzeiten der Straße waren längst vergangen; sie war verwunschen von den Erinnerungen an billiges Benzin und Privatwagen, die hundert Stundenkilometer fuhren. Lange Abschnitte der Straßendecke waren durch Schlaglöcher ruiniert und nur notdürftig mit Kunststoffgeflecht ausgebessert. Es knisterte und knackte unter den Reifen.
Zur Linken, im Westen, säumten nackte, rissige Betonplatten die Straße wie gefallene Dominosteine. Gebäudefundamente hatten keinen Schrottwert. Sie blieben immer bis zuletzt. Allenthalben gedieh Gestrüpp: Salzgräser, ausgedehnte Matten von sprödem Glaskraut, dichte Schilfbestände. Zur Rechten, dem Küstenverlauf folgend, waren die Pfähle verschwundener Strandhäuser zu sehen. Manche waren halb umgesunken, wie die Beine watender Flamingos.
Ihre Mutter berührte Lorettas dünne Löckchen, und der Säugling gurgelte. »Stört es dich nie, hier zu leben, Laura? Dieser allgemeine Verfall...«
»David ist gern hier«, sagte Laura.
Ihre Mutter sprach mit der Anstrengung innerer Überwindung. »Behandelt er dich gut, Kind? Du scheinst glücklich mit ihm zu sein. Ich hoffe, das stimmt.«
»David ist in Ordnung, Mutter.« Laura hatte
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