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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dich. Ich will mich nicht in dein Leben einmischen, falls du das denkst. Du hast deine Sache sehr gut gemacht, und ich freue mich darüber, wirklich. Aber es kann immer etwas geschehen, ohne eigenen Fehler.« Sie zögerte. »Ich möchte, daß du aus unserer Erfahrung lernst - meiner, meiner Mutter Erfahrung. Keine von uns beiden hatte Glück, nicht mit unseren Männern, auch nicht mit unseren Kindern. Und es lag nicht daran, daß wir uns nicht bemüht hätten.«
    Lauras Geduld bröckelte. Die Erfahrungen ihrer Mutter - das war etwas, was Laura jeden Tag ihres Lebens verfolgt hatte. Daß ihre Mutter jetzt davon sprach, als ob es etwas wäre, das ihrer Tochter aus dem Gedächtnis geraten sein könnte, empfand Laura als grobe Gedankenlosigkeit. »Es genügt nicht, sich zu bemühen, Mutter. Man muß vorausplanen. Das war etwas, worin deine Generation nie gut war.« Sie zeigte aus dem Fenster. »Siehst du das dort drüben?«
    Das Elektromobil hatte das südliche Ende des Hafendamms von Galveston erreicht. Sie durchfuhren einen Vorort, der früher einmal eine Pendlersiedlung mit grünen Rasenflächen und einem Golfplatz gewesen war. Jetzt war es ein Barrio: Die breit hingelagerten Häuser waren unterteilt in Wohnungen, umgebaut zu Bars und mexikanischen Krämerläden.
    »Die Leute, die diese Vorortsiedlung bauten, wußten, daß uns das Öl ausgehen würde«, sagte Laura. »Aber sie planten nicht danach. Sie bauten alles um ihre kostbaren Autos herum, obwohl ihnen klar war, daß sie die Innenstädte in Ghettos verwandelten. Jetzt sind die Autos verschwunden, und jeder, der es sich leisten kann, ist in die Stadt zurückgezogen. Und die Armen werden hierher abgeschoben. Aber sie können sich die Wasserrechnungen nicht leisten, also verdorren die Rasenflächen, werden zu nackter, festgetrampelter Erde oder verwildern mit Gestrüpp. Und sie können sich keine Klimaanlagen leisten, also vergehen sie vor Hitze. Niemand war auch nur so vernünftig, überdachte Veranden an die Häuser zu bauen. Obwohl jedes in Texas gebaute Haus seit zweihundert Jahren eine überdachte Veranda hatte, aus gutem Grund.«
    Ihre Mutter blickte gehorsam aus dem Fenster. Es war Mittag, und die Fenster standen weit offen. In den unterteilten Häusern schwitzten die Arbeitslosen vor ihren subventionierten Fernsehern. Die Armen lebten heutzutage billig. Scop der einfachsten Sorte, getrocknet wie Maismehl, kostete nur wenige Cents das Pfund. In den Ghettovororten aßen alle Scop, Einzellerprotein. Das Nationalgericht der Dritten Welt.
    »Aber das ist es ja, was ich dir zu erklären versuche, Kind«, sagte ihre Mutter. »Die Dinge verändern sich. Du kannst das nicht steuern. Und man kann Pech haben.«
    »Mutter, diese beschissenen Bungalows und Doppelhäuser wurden von Leuten gebaut, sie sind nicht hier gewachsen«, sagte Laura mit gepreßter Stimme. »Sie wurden errichtet, weil jemand schnell Profit machen wollte, ohne einen Gedanken auf die langfristige Entwicklung zu verschwenden. Ich kenne diese Siedlungen, habe David geholfen, sie abzureißen. Schau sie dir an!«
    Ihre Mutter machte ein gequältes Gesicht. »Ich verstehe nicht. Es sind billige Häuser, wo arme Leute wohnen. Wenigstens haben sie ein Dach über dem Kopf.«
    »Mutter, das sind Energiesiebe! Alles Lattenwerk und Porenbeton und billiger Flitterkram!«
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Architektenfrau, Kind. Ich kann sehen, daß diese Siedlung dich aufregt, aber du redest, als ob es meine Schuld wäre.«
    Das Elektromobil bog nach Westen ab und durch die 83. Straße zum Flugplatz. Das Baby schlief an ihrer Brust; Laura drückte sie fester an sich. Sie war deprimiert und zornig. Sie wußte nicht, wie sie es ihrer Mutter klarer machen konnte, ohne unhöflich zu sein. Wenn sie sagen könnte: Mutter, deine Ehe war wie eines dieser billigen Häuser; du brauchtest es auf und zogst weiter… Du warfst meinen Vater aus deinem Leben wie den Wagen vom vorletzten Jahr, und du gabst mich zu Großmutter, die mich aufziehen sollte, wie eine Hauspflanze, die nicht mehr zu deinen Tapeten paßte… Aber das konnte sie nicht sagen. Sie brachte es nicht über sich.
    Ein Schatten glitt über sie hinweg. Eine Boeing, am Seitenleitwerk die roten und blauen Farben der Aero Cubana. Sie erinnerte Laura an einen Albatros, mit ausladenden, scharfkantigen schmalen Flügeln an einem langen Rumpf. Die im Landeanflug gedrosselten Triebwerke brummten.
    Der Anblick von Flugzeugen verschaffte Laura

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