Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
unweigerlich ein Gefühl nostalgischer Erhebung. Als Kind hatte sie viel Zeit in den Abfertigungshallen von Flughäfen verbracht, in den glücklichen Jahren, bevor ihr Leben als Diplomatenkind in Trümmer gefallen war. Die Maschine sank mit computergesteuerter Präzision tiefer, die Landeklappen angestellt. Moderne Gestaltung, dachte Laura stolz. Die dünnen Keramikflügel der Boeing sahen zerbrechlich aus, aber sie hätten ein lausiges Doppelhaus durchschnitten wie ein Rasiermesser ein Stück Weichkäse.
    Durch ein Tor im Kettengliederzaun aus rotem Kunststoffgeflecht erreichten sie das Flugplatzgelände. Vor dem Abfertigungsgebäude standen Elektromobile aufgereiht. Laura half ihrer Mutter beim Umladen ihrer Sachen auf einen wartenden Gepäckkarren. Das Abfertigungsgebäude war im Frühstil des Organischen Barock erbaut, mit isolierten, festungsartigen Mauern und doppelten, automatischen Schiebetüren. Drinnen war es angenehm kühl und roch kräftig nach einem Bodenreiniger. Anzeigetafeln mit den Ankunfts- und Abflugzeiten hingen von der Decke. Ihr Gepäckkarren folgte ihnen im Schrittempo.
    Nicht viele Reisende bevölkerten das Gebäude. Scholes Field war ein kleiner Provinzflugplatz, mochte die Stadt auch nicht müde werden, seine Bedeutung hervorzuheben. Nach dem letzten Wirbelsturm hatte der Stadtrat ihn erweitert, in einem letzten, verzweifelten Versuch, die öffentliche Moral zu heben. Viele Steuerzahler hatten ihn schnell benutzt, um Galveston endgültig den Rücken zu kehren.
    Sie gaben das Gepäck ihrer Mutter auf. Laura sah ihre Mutter mit dem Angestellten im Flugkartenschalter plaudern. Wieder war sie die Frau, an die sich Laura erinnerte: gepflegt und kühl und makellos, in sich abgeschlossen und unangreifbar in der Teflonschale des Diplomaten. Margaret Day: mit zweiundsechzig noch immer eine attraktive Frau. Manche Leute schafften es, bis ins Alter frisch und springlebendig zu wirken. Mit etwas Glück konnte ihre Mutter noch zwei bis drei Jahrzehnte leben.
    Sie gingen zusammen zum Warteraum. »Gib sie mir noch einmal«, sagte ihre Mutter. Laura gab ihr das Baby. Ihre Mutter trug Loretta wie einen Sack voll Smaragde. »Sollte ich etwas gesagt haben, was dich aufregt, wirst du es mir vergeben, ja? Ich bin nicht mehr so jung, wie ich einmal war, und es gibt Dinge, die ich nicht verstehe.«
    Ihre Stimme war ruhig, aber in ihr Gesicht kam etwas wie eine zitternde Bewegung, ein seltsam wehrlos bittender Ausdruck. Zum ersten Mal begriff Laura, wieviel es ihre Mutter gekostet haben mußte, dies durchzumachen - wie rücksichtslos sie sich gedemütigt hatte. Und Laura verspürte eine jähe Aufwallung von Mitgefühl - als wäre sie vor ihrer Haustür auf eine verletzte Fremde gestoßen. »Nein, nein«, murmelte sie im Gehen. »Alles war schön.«
    »Ihr seid moderne Menschen, du und David«, sagte ihre Mutter. »In einer Weise kommt ihr uns alten Dekadenzlern sehr unschuldig vor.« Sie lächelte etwas kläglich. »So frei von Zweifeln.«
    Laura dachte darüber nach, als sie in den Warteraum gingen. Zum ersten Mal verstand sie in einer undeutlich intuitiven Art und Weise den Standpunkt ihrer Mutter. Sie suchten sich Sitzplätze außer Hörweite der wenigen anderen Passagiere, die auf ihren Flug nach Dallas warteten. »Wir wirken dogmatisch. Selbstgerecht. Ist es das?«
    »O nein«, sagte ihre Mutter hastig. »Das wollte ich damit nicht sagen.«
    Laura holte tief Luft. »Wir leben nicht unter einem Schrecken, Mutter. Das ist der eigentliche Unterschied. Niemand zielt mit Raketen auf meine Generation. Darum denken wir an die langfristige Zukunft. Weil wir wissen, daß wir eine haben werden. Und wir haben diesen Luxus nicht verdient. Den Luxus, selbstgerecht auszusehen.« Laura entspannte sich ein wenig; sie fühlte sich tugendhaft.
    »Nun ja…« Ihre Mutter suchte nach Worten. »Es hat sicherlich damit zu tun, aber… Die Welt, in der du aufgewachsen bist - mit jedem Jahr ist sie glatter und beherrschbarer geworden. Als ob ihr ein Netz über die Menschenschicksale geworfen hättet. Aber das habt ihr nicht, Laura, nicht wirklich. Und ich mache mir Sorgen um dich.«
    Laura war überrascht. Sie hatte nie gewußt, daß ihre Mutter solch einem morbiden Fatalismus huldigte. Es schien ihr eine unheimliche, altmodische Einstellung zu sein. Und es war ihr ernst damit - als ob sie jederzeit bereit wäre, Hufeisen über die Tür zu nageln oder den Rosenkranz zu beten. Und tatsächlich war in letzter Zeit manches ziemlich

Weitere Kostenlose Bücher