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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Gefühl von Entmutigung.
    »Großartiger Tag, nicht?« Er streckte sich aus. »Mann, hab ich mir den Arsch abgearbeitet. Morgen werde ich es spüren. Aber jetzt fühle ich mich phantastisch. Lebendig.« Er warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu.
    Laura war nicht in der Stimmung. Eine Art Ritual hob an, ein wortloses Feilschen. Das Ziel war, den Stil des Abends von der Stimmung beherrschen zu lassen. Daher war es ein Foul, die Stimmung zu verderben.
    Es gab verschiedene Ebenen des Spiels. Beide Seiten gewannen, wenn beide rasch die gleiche Stimmung erreichten, sei es durch ansteckendes Charisma, sei es im beiderseitigen Einverständnis. Ein Gewinn zweiter Klasse war, wenn ein Teil seinen Willen durchsetzte, ohne sich deswegen schuldig zu fühlen. Ein Pyrrhussieg war, wenn man seinen Willen durchsetzte, aber kein gutes Gefühl dabei haben konnte. Schließlich gab es die verschiedenen Ebenen des Nachgebens: mit Anmut, resigniert oder Opfergang.
    Fouls waren am einfachsten, und dann verloren beide. Je länger das Ritual dauerte, desto wahrscheinlicher wurde, daß sie es verpfuschten. Es war ein schwieriges Spiel, selbst nach acht Jahren Übung.
    Laura fragte sich, ob sie ihm von der Kirche von Ischtar erzählen solle. Der Gedanke an das Gespräch erneuerte ihr Gefühl sexuellen Widerwillens, wie das Gefühl, sich zu beschmutzen, wenn sie Pornographie sah. Sie beschloß, das Gespräch mit Reverend Morgan nicht zu erwähnen. Er würde es sicherlich völlig falsch verstehen und womöglich glauben, seine Avancen verschafften ihr das Gefühl, wie eine Prostituierte zu sein.
    Sie suchte nach einer anderen Idee. Ein erstes Schuldgefühl nagte an ihrem Entschluß. Vielleicht sollte sie nachgeben. Sie sah zu ihrem Fuß. »Mein Bein schmerzt«, sagte sie.
    »Armes Kind.« Er beugte sich herüber und sah genauer hin. Machte große Augen. »Mein Gott.« Plötzlich war sie eine Invalidin geworden. Die Stimmung wandelte sich augenblicklich, das Spiel war zu Ende. Er küßte seine Fingerspitze und berührte leicht die Abschürfung.
    »Fühlt sich schon besser an«, sagte sie lächelnd. Er kroch unter seine Decke, ergeben und friedlich. Das war leicht gewesen. Sieg erster Klasse für das arme, kleine, lahme Mädchen.
    Sie nutzte die Gelegenheit, ihre Mutter zu erwähnen. »Ich freue mich darauf, wenn alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt. Mutter reist morgen ab.«
    »Zurück nach Dallas, wie? Schade, ich war gerade dabei, mich an das alte Mädchen zu gewöhnen.«
    Laura schlüpfte unter die Decke. »Na, wenigstens hat sie keinen unangenehmen Freund mitgebracht.«
    David seufzte. »Du bist so hart mit ihr, Laura. Sie ist eine Karrierefrau der alten Schule, das ist alles. Es gab Millionen wie sie - auch Männer, natürlich. Ihre Generation ist gern unterwegs. Diese Leute leben allein, sie haben ihre Bande zerschnitten und bleiben unstet und auf sich selbst fixiert. Früher glaubten sie darin Selbstverwirklichung zu finden, und heute kennen sie es nicht mehr anders. Wo sie sind, zerreißen Familienbande.« Er zuckte die Achseln. »Daß sie dreimal verheiratet war, bestätigt dies nur. Übrigens hätte sie mit ihrem Aussehen zwanzig Männer haben können.«
    »Du ergreifst immer für sie Partei. Bloß weil sie dich mag.« Weil du wie Papa bist, dachte sie und verdrängte den Gedanken.
    »Weil sie deine Augen hat«, sagte er und zwickte sie unter der Decke.
    Sie fuhr zusammen. »Du Ratte!«
    »Du große Ratte«, berichtigte er sie gähnend.
    »Große Ratte«, sagte sie. Er hatte sie aus ihrer tristen Stimmung gerissen. Sie fühlte sich besser.
    »Große Ratte, ohne die ich nicht leben kann.«
    »Du sagst es«, sagte sie.
    »Mach das Licht aus.« Er wälzte sich auf die andere Seite. Bevor sie das Licht ausschaltete, fuhr sie ihm mit dem Finger durchs Haar, dann legte sie den Arm über seinen Körper und schmiegte sich in der Dunkelheit an ihn. Es war gut.

2. Kapitel
     
    Nach dem Frühstück half Laura ihrer Mutter packen. Sie war verblüfft von der Masse des unnötigen Krimskrams, den ihre Mutter mit sich herumschleppte: Hutschachteln, Flaschen mit Haarspray und Vitaminen und Kontaktlinsenflüssigkeit, eine Videokamera, ein Dampfbügeleisen, Lockenwickler, eine Schlafmaske, sechs Paar Schuhe mit hölzernen Spannern, um zu verhindern, daß sie im Gepäck zusammengedrückt wurden. Sie hatte sogar eine besondere Dose mit Einlegearbeit nur für Ohrringe.
    Laura hielt ein in rotes Leder gebundenes Reisetagebuch in die Höhe. »Mutter, wozu

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