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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dieses Gespräch gefürchtet. »Du hast jetzt gesehen, wie wir leben. Wir haben nichts zu verbergen.«
    »Als wir uns das letzte Mal sahen, Laura, arbeitetest du in Atlanta. In der Konzernzentrale von Rizome. Jetzt betreibst du ein Ferienheim, ein… ein Wirtshaus.« Sie zögerte. »Nicht, daß es schlecht wäre, aber…«
    »Du meinst, es sei ein Rückschlag für meine Karriere.« Laura schüttelte den Kopf. »Mutter, Rizome ist eine Demokratie. Wenn du aufsteigen und Macht haben willst, mußt du gewählt werden. Das bedeutet, daß du Leute kennen mußt. Persönlicher Kontakt bedeutet bei uns alles. Und wenn man ein Wirtshaus betreibt, wie du es ausdrückst, kommt man mit allen möglichen Leuten aus dem Firmenbereich zusammen. Die besten Leute unseres Konzerns benutzen die Ferienheime als Gäste. Und da sehen wir sie, und sie sehen uns.«
    »Das ist nicht so, wie ich mich daran erinnere«, sagte ihre Mutter. »Macht ist, wo die Entscheidungen getroffen werden, wo Aktion ist.«
    »Mutter, die Aktion ist heutzutage überall. Dafür haben wir das Netz.« Laura bemühte sich um Höflichkeit. »Das ist nicht so etwas wie ein Strohhalm, nach dem David und ich gegriffen haben. Es ist eine Schauvitrine für uns. Wir wußten, daß wir eine feste Wohnung brauchen würden, solange das Kind klein ist, also fertigten wir die Pläne an, zeigten sie in der Firma herum, gewannen Unterstützung, zeigten Initiative, Flexibilität… Es war unser erstes großes Projekt als Gespann. Jetzt sind wir bekannt.«
    »Ihr habt das alles sehr hübsch ausgearbeitet«, sagte ihre Mutter. »Du hast Ehrgeiz und das Kind. Karriere und Familie. Einen Mann und einen Job. Es ist alles zu passend, Laura. Ich kann nicht glauben, daß es so einfach ist.«
    Laura war eisig. »Natürlich. Das mußte heraus, nicht?«
    Bedrückende Stille breitete sich aus. Ihre Mutter zupfte am Rocksaum. Endlich raffte sie sich auf und sagte: »Laura, ich weiß, daß mein Besuch nicht leicht für dich gewesen ist. Es ist lange her, seit wir unsere getrennten Wege gingen, du und ich. Ich hoffe, wir können das jetzt ändern.«
    Laura sagte nichts. Ihre Mutter fuhr hartnäckig fort: »Seit dem Tod deiner Großmutter hat sich manches geändert. Es ist jetzt zwei Jahre her, und sie ist nicht mehr für uns da. Laura, ich möchte dir helfen, wenn ich kann. Wenn es irgend etwas gibt, das du brauchst. Ganz gleich, was es ist. Wenn du reisen mußt, würde es schön sein, wenn du Loretta bei mir lassen könntest. Oder wenn du bloß jemanden brauchst, um dich auszusprechen.«
    Sie zögerte, streckte die Hand in einer Gebärde offener Sehnsucht nach dem Kind aus. Zum ersten Mal sah Laura mit bewußter Aufmerksamkeit ihrer Mutter Hände. Die runzligen, fleckigen Hände einer alten Frau. »Ich weiß, du vermißt deine Großmutter. Du gabst der Kleinen ihren Namen, Loretta.« Sie streichelte dem Baby die Wange. »Ich kann ihren Platz nicht ausfüllen. Aber ich möchte etwas tun, Laura. Um meines Enkelkindes willen.«
    Es war eine anständige, herkömmliche Geste familiären Zusammengehörigkeitsgefühls, dachte Laura. Aber sie empfand es als eine unwillkommene Gefälligkeit. Sie wußte, daß sie für die Hilfe ihrer Mutter würde bezahlen müssen - mit Verpflichtungen und Intimität. Das hatte sie nicht verlangt und wollte es auch nicht. Und sie brauchte es auch nicht - sie und David hatten die Firma hinter sich, die gute, unverbrüchliche Rizome-Gemeinschaft. »Es ist sehr nett von dir, Mutter«, sagte sie. »Danke für das Angebot. David und ich wissen es zu würdigen.« Sie wandte das Gesicht weg, zum Fenster.
    Der Straßenzustand besserte sich, als das Elektromobil einen Abschnitt erreichte, der zur Wiederbebauung vorgesehen war. Sie fuhren an einem Yachthafen vorbei, wo Mietsegelboote mit Autopilot Bordwand an Bordwand lagen. Dann kam eine festungsartige Einkaufsstraße, wie das Ferienheim aus Sandbeton gebaut. Elektromobile drängten sich auf dem Parkplatz. Die Einkaufszone blinkte und leuchtete in bunter, kommerzieller Aufdringlichkeit: T-SHIRTS BIER WEIN VIDEO Eintritt frei, alle Räume mit AC!
    »Für einen Wochentag geht das Geschäft gut«, sagte Laura. Die Menschenmenge bestand größtenteils aus Tagesbesuchern, die aus Houston herübergekommen waren, vorübergehend befreit aus ihren Hochhaussilos. Dutzende von ihnen wanderten ziellos den Strand entlang, starrten zur See hinaus, froh über einen unverstellten Horizont.
    Ihre Mutter drängte weiter. »Laura, ich sorge mich um

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