Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
kältestarrer Betäubung. Sie hörte die Maschine ausrollen, zum Stillstand kommen, aber nichts geschah. Nach einer halben Stunde quälender Furcht und Ungewißheit, während die Hitze in das dunkle Innere des Frachtraums kroch, begannen ihre Nerven zu versagen. Hatte man sie vergessen?
    War sie einem Programmfehler zum Opfer gefallen, der einen routinemäßigen Leerflug vorgesehen hatte und die Maschine bis zum nächsten Versorgungseinsatz irgendwo am Rande einer Wüstenpiste abgestellt hatte?
    Endlich ein Knarren von Türen, weißglühendes Licht ergoß sich in den Raum. Ein heißer Luftschwall, befrachtet mit dem Geruch von Staub und Kerosin.
    Das Rumpeln und Quietschen einer fahrbaren Treppe. Stiefelschritte. Man schaute herein, ein sonnengebräunter blonder Europäer in Khakiuniform. Sein Hemd war auf beiden Seiten dunkel vom Schweiß. Er sah sie neben ein paar Kisten kauern, die mit einer festgezurrten Persenning zugedeckt waren.
    »Kommen Sie heraus!« sagte er und winkte mit dem Arm. In seiner Faust war eine kleine schwarze Metallmündung, Teil eines Mechanismus, der an den Unterarm geschnallt war und einen Lauf hatte. Es war eine Art Maschinenpistole.
    »Na wird's bald?«
    Laura stand auf. »Wer sind Sie? Wo sind wir?«
    Er schüttelte den Kopf. »Keine Fragen. Vorwärts!«
    Er ließ sie vorausgehen, hinaus in überhitzte, ausgetrocknete Luft. Sie war auf einem Wüstenflugplatz. Staubige, in Hitzeflimmern verschwimmende Rollbahnen, ein niedriges, weißgetünchtes Gebäude mit einem verblichenen Windsack, einer schlaff herabhängenden rot, golden und grün gestreiften Fahne. In der Ferne lag ein riesiger weißer Flugzeughangar, blaß und scheunenartig, und von dort kam das zornige Pfeifen von Triebwerksdüsen.
    In der Nähe wartete eine Art Lieferwagen, ein Gefangenentransportfahrzeug, weiß gestrichen wie ein Bäckereiwagen. Dicke Reifen mit Geländeprofil, drahtgesicherte Fenster, schwere Stoßstangen aus Stahlblech.
    Zwei schwarze Polizisten öffneten die Hecktüren. Sie trugen Khakishorts, Kniestrümpfe, Sonnenbrillen, Gummiknüppel und Pistolen mit Patronentaschen für Ersatzmagazine. Ihre schweißglänzenden Gesichter waren gleichgültig und ausdruckslos; sie strahlten empfindungslose Bedrohung aus. Ihre schwieligen Hände befingerten die Gummiknüppel, als Laura zu ihnen gebracht wurde.
    Sie stieg in den Wagen. Die Hecktüren schlugen zu und wurden abgesperrt. Sie war allein und fürchtete sich. Das
    Metall des Daches war so heiß, daß sie es kaum berühren konnte, und der mit Gummi bezogene Fußboden stank nach Schweiß und getrocknetem Urin.
    Lauras überreizte Nerven sagten ihr, daß in diesem Wagen Menschen gestorben waren; sie glaubte die Gegenwart ihres Sterbens wie ein Gewicht auf ihrem Herzen zu fühlen. Tot, zerschlagen und blutend, hier auf dieser schmutzigen Gummimatte.
    Der Motor sprang an, der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung; sie stürzte zu Boden.
    Nach einer Weile faßte sie Mut, raffte sich auf und spähte zu dem mit dickem Draht vergitterten Fenster hinaus.
    Flammende Hitze, eine Sonne wie eine Blitzlichtentladung, und Staub. Runde Lehmziegelhütten - nicht einmal richtige Lehmziegel, nur getrocknete rötlich-lehmige Erde -, zum Teil mit wackligen Anbauten aus Wellblech und Plastik. Schmutzige, aufgespannte Lumpen als Schattenspender. Da und dort dünner Rauch von Feuerstellen. Die kleinen Rundhütten mit ihren Spitzdächern waren zusammengedrängt wie Pickel auf der Haut eines Halbwüchsigen, ein ausgedehntes Elendsviertel, das sich hügelauf, hügelab erstreckte, durch Trockenbetten und über Abfallhalden, so weit das Auge reichte. In weiter Ferne blies eine Reihe von Fabrikschornsteinen ungefilterten Schmutz in den wolkenlosen Himmel. Ein Hüttenwerk? Eine Raffinerie?
    Sie sah kaum Menschen. Niemand bewegte sich in der brutalen Hitze: Die meisten saßen oder lagen wie betäubt im Schatten von Eingängen und Zeltdächern. Sie hatte das Gefühl enormer, unsichtbarer Menschenmassen, die im heißen Schatten ihrer Behausungen auf den Abend warteten, der in diesem gottverlassenen Inferno ein wenig Kühle und Linderung versprach. Die schmalen, regellos angelegten Gassen zwischen den Rundhütten und Wellblechbehausungen waren gesäumt von getrockneten menschlichen Exkrementen und erstaunlichen, geradezu explosiven Schwärmen afrikanischer Fliegen. Die Fliegen waren allgegenwärtig und groß wie Schaben.
    Kein Straßenpflaster, keine Straßengräben, keine Wasserleitungen,

Weitere Kostenlose Bücher