Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
brauner und gelber Wüstentarnung. Matrose 1 startete den Außenbordmotor, und das Boot brummte auf den nächsten Lastenträger zu, der ein gutes Stück größer war als das Schlauchboot, ein bauchiger, schwimmender Zylinder, am Bug und den Seiten mit stabilen Abschleppringen versehen.
    Matrosen 2 und 3 mühten sich mit dem Wetterballon ab.
    Endlich ließen sie ihn los, und er sauste nach oben und ließ von einer Trommel an seinem unteren Ende ein langes dünnes Kabel abrollen.
    »Alles klar«, sagte Matrose 1. Er hängte das Ende des Kabels an ein paar Karabinerhaken am Rücken von Lauras Schwimmweste ein. »Ziehen Sie die Knie an und umfassen Sie sie mit den Armen«, sagte er. »Ziehen Sie den Kopf ein und beißen Sie die Zähne zusammen, sonst holen Sie sich leicht eine Halswirbelverletzung, oder beißen sich in die Zunge. Wenn Sie merken, daß die Maschine dieses Kabel erfaßt hat, gehen Sie hoch wie eine Rakete. Sind Sie einmal in der Luft, lassen Sie die Beine los und strecken den Körper. Es ist wie ein F allschirmabsprung.«
    »Ich wußte nicht, daß es so sein würde«, sagte Laura ängstlich. »Fallschirmspringen! Ich weiß nicht, wie man das macht!«
    »Ja«, sagte Matrose 2 ungeduldig, »aber Sie haben es gesehen. In der Glotze.«
    »Wenn eine Maschine Sie an den Haken nimmt, ist es genauso wie beim Fallschirmabsprung, bloß umgekehrt«, sagte Matrose 1 hilfreich. Er steuerte sie zum Bug des ersten Lastenträgers. »Was, meint ihr, ist darin?«
    »Neue Ladung Raketen«, sagte Matrose 2.
    »Nein, Mann, es sind die Fressalien. Tiefgekühltes.«
    »Niemals. Der da drüben ist der mit dem Tiefgekühlten.« Er wandte sich zu Laura. »Haben Sie nicht gehört, was ich sagte? Ziehen Sie die Beine an, umfassen Sie die Knie!«
    »Ich…« Es traf sie wie ein Autounfall. Ein jäher, furchtbarer Ruck, als wollte ihr der Haken die Knochen aus dem Fleisch reißen. Sie schoß nach oben wie von einer Kanone abgeschossen, Arme und Kniegelenke gaben nach, sie wurde gestreckt wie auf der Folterbank. Gleichzeitig wurde ihr schwarz vor Augen, als die Beschleunigung das Blut aus dem Gehirn in die Extremitäten trieb. Sie war hilflos, am Rande der Ohnmacht, und ihre Kleider flatterten im Wind, Ihr Körper begann an der Leine zu rotieren wie ein Kreisel. Aber nach diesem ersten Schock stellte sich ein sonderbares Gefühl mystischer Ekstase ein: sublimes Entsetzen, hilflose Furcht. Sindbad der Seefahrer, wie er vor Madagaskar vom Vogel Roch gefangen und durch die Luft getragen wird. Östlich von Afrika. Unter ihr das unendliche Blau des Ozeans…
    Ein Schatten fiel über sie. Ohrenbetäubender Lärm von Triebwerken, das Winseln einer Winsch. Dann war sie oben und im Bauch der Maschine. Von unten drang Tageslicht herein, fiel auf beschriftete Kisten, Verschläge, Kabelrollen. Ein innerer Kranausleger schwenkte sie von der Ladeluke fort und setzte sie ab. Sie lag keuchend und benommen.
    Dann knallten die Ladeluken zu, und es wurde stockdunkel.
    Sie spürte, wie die Maschine beschleunigte und stieg. Sie hob die Nase. Die Triebwerke donnerten.
    Sie befand sich in einer fliegenden schwarzen Höhle, in der es nach Kunststoff und geöltem Segeltuch und afrikanischem Staub roch. Es war finster wie in einer verschlossenen Thermosflasche.
    Sie schrie: »Licht an!« Nichts. Sie hörte das Echo ihrer Worte. Sie war allein. Vielleicht hatte die Maschine nur den Piloten und seinen Copiloten an Bord, oder sie war eine unbemannte Riesendrohne, ein ferngelenktes Versorgungsflugzeug.
    Sie befreite sich umständlich aus der Schwimmweste, versuchte es mit verschiedenen Varianten akustischer Signale zum Einschalten der Beleuchtung, suchte die Umgebung nach Schaltern ab. Sie wiederholte die Anweisungen auf japanisch. Vergebens. Sie war ein Bestandteil der Ladung - niemand hörte auf Äußerungen der Luftfracht.
    Es wurde kalt. Und die Luft wurde dünn.
    Sie fror. Nach Tagen unveränderter Temperatur im U-Boot war sie empfindlich gegen die Kälte. Sie saß zusammengekauert in ihrer Isolierfolie, zog die Kapuze über den Kopf und legte die Hände vors Gesicht: Es war so finster, daß sie buchstäblich die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Sie atmete in die Hände, um sie warmzuhalten. Dampfende, schnaufende Atemzüge dünner Himalayaluft. Sie zog sich zu einer Kugel zusammen und zitterte.
    Isolation und Schwärze und das vibrierende Dröhnen der Triebwerke.
     
    Die Landung - das butterweiche Aufsetzen cybernetischer Präzision - weckte sie aus

Weitere Kostenlose Bücher