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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Abwässerkanäle, keine elektrische Energie. Inmitten der dichtesten Zusammenballungen von Hütten und Zeltbahnen sah sie ein paar an Stangen befestigte Lautsprecher. Einer erhob sich über einem schmierigen Cafe, einem kopfsteingepflasterten offenen Stall aus Plastik und Kistenbrettern, mit Zeltbahnen als Dach. Dort kauerten Dutzende von Männern im Schatten auf ihren Keulen, tranken aus alten Limonadenflaschen und spielten mit Kieselsteinen, die in bestimmte Felder geworfen werden mußten. Über ihren Köpfen verbreitete der Lautsprecher ein monotones Krächzen in einer unverständlichen Sprache.
    Die Männer blickten auf, als der Gefangenentransportwagen vorbeirumpelte, und ihre Mienen waren verschlossen, ausdruckslos. Laura sah, daß ihre Kleider von Schmutz starrten. Und zu einem guten Teil waren es Kleider westlicher Herkunft: zerlumpte T-Shirts und karierte Polyesterhosen und billige, zerrissene Schuhe mit Vinylsohlen, mit Draht zugebunden. Sie trugen Turbane aus farbigen Stoffresten.
    Der Wagen fuhr weiter, knirschte rumpelnd durch Schlaglöcher und wirbelte erstickenden Staub auf. Lauras Blase drohte zu bersten. Sie erleichterte sich in einem Winkel des Wagens, wo es am schlimmsten stank.
    Die Elendsviertel wollten kein Ende nehmen. Sie wurden womöglich noch dichter und verhängnisvoller. Der Wagen kam durch eine Gegend, wo die Männer narbig waren und lange Messer offen in den Gürteln trugen und rasierte Köpfe und Tätowierungen hatten. Eine Gruppe von Frauen in schmieriger Sackleinwand wehklagte ohne besonderen Nachdruck über einem toten Jungen, der ausgestreckt in der Türöffnung einer Hütte lag.
    Da und dort bemerkte Laura vertraute Stücke und Gegenstände der Außenwelt, ihrer Welt, die keinen Zusammenhang mit dieser Realität hier hatten und wie von einem höllischen Wind verweht schienen. Jutesäcke mit verblaßtem blauem Stempelaufdruck: In Freundschaft sich drückende Hände und darunter in französisch und englisch: 100% WEIZENMEHL, EIN GESCHENK KANADAS AN DIE BEVÖLKERUNG VON MALI. Ein halbwüchsiger Junge trug ein T-Shirt mit einem Aufdruck aus Disneyland mit dem Wahlspruch ›Besucht die Zukunft!‹ Ölfässer, geschwärzt vom Ruß verbrannter Abfälle über den Kringeln arabischer Inschriften. Teile eines koreanischen Lieferwagens, Autotüren aus Kunststoff, mit den Fenstern eingelassen in eine Wand aus rotem, erdigem Lehm.
    Dann eine verwahrloste, rußgeschwärzte Versammlungshalle oder Kirche, deren lange Außenmauern mit einer furchterregenden Ikonographie grinsender, gehörnter Heiliger bemalt waren. In die gerundeten Lehmkuppeln des Daches waren die glitzernden runden Böden zerbrochener Flaschen eingesetzt.
    Der Wagen fuhr stundenlang. Sie war mitten in einer größeren Stadt, einer Metropole. Hier lebten Hunderttausende. Das ganze Land, Mali, ein riesiges Gebiet, größer als Texas, und dies war fast alles, was davon übriggeblieben war, dieser labyrinthische Ameisenhaufen. Alle anderen Möglichkeiten hatte die afrikanische Katastrophe verschüttet. Die Überlebenden der Dürre drängten sich in gigantischen städtischen Flüchtlingslagern wie diesem zusammen. Sie war in Bamako, der Hauptstadt von Mali.
    Der Hauptstadt der FAKT. Sie war die Geheimpolizei hier, die Macht, die das Heft in der Hand hatte. Sie übte die Herrschaft über einen Staat aus, der hoffnungslos ruiniert war, reduziert auf eine Serie menschenunwürdiger Elendssiedlungen.
    In einer jähen, abstoßenden Einsicht wurde Laura klar, wie wertlos ein Menschenleben hier war. In dieser zu unvorstellbaren Dimensionen angeschwollenen Elendssiedlung war ein Sumpf von Elend und Verkommenheit, der die ganze Welt zu verseuchen drohte. Sie hatte immer gewußt, daß die Verhältnisse in Afrika schlimm waren, aber sie hatte sich niemals vorstellen können, daß ein Leben hier einfach bedeutungslos war. Und sie erkannte in einer Anwandlung fatalistischen Schreckens, daß auch ihr Leben in dieser Umgebung so klein und unbedeutend war, daß sie keinerlei Erwartungen damit verknüpfen durfte. Sie war jetzt in der Hölle, und hier galten andere Maßstäbe.
    Endlich rollten sie durch ein Tor in einem Stacheldrahtzaun auf eine freie Fläche aus Staub, Asphalt und skeletthaften Wachttürmen. Weiter voraus erhoben sich - Lauras Herz klopfte schneller - die vertrauten, freundlichen braunen Wände aus Sandbeton. Sie näherten sich einem massigen, überkuppelten Gebäude, das entfernte Ähnlichkeit mit ihrem Rizome-Ferienheim in Galveston

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