Inseln im Netz
Handschellen an. Obwohl es schmerzte, lachte Laura innerlich über sie.
Sie führten sie die Treppe hinunter und auf den Hof, wo sie die Ladefläche eines Lastwagens besteigen mußte. Es war kein Gefangenentransportwagen der Polizei, sondern ein Militärlastwagen mit einer Wagenplane und in hellbrauner und gelblich gefleckter Wüstentarnfarbe gespritzt. Unter dem Verdeck waren Holzbänke für Soldaten, Wasserbehälter und Treibstoffkanister.
Sie fesselten ihre Beine an eine der Stützen unter den hölzernen Bänken, und sie saß da und freute sich. Sie wußte nicht, wohin es ging, aber es würde jetzt anders sein.
Zehn Minuten saß sie schwitzend in der Hitze. Dann brachten sie eine zweite Frau. Eine Weiße, blond. Sie fesselten sie an die Bank gegenüber, sprangen hinaus und schlossen die Heckklappe.
Der Motor sprang brüllend an, der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Laura musterte die Fremde. Sie war blond und hager und trug gestreifte Gefängniskleidung. Sie mochte dreißig sein. Sie sah sehr vertraut aus, und Laura begriff, daß sie und die Fremde einander hinreichend ähnelten, um Schwestern zu sein. Sie sahen einander an und lächelten scheu.
Der Lastwagen rollte zum Tor hinaus.
»Laura Webster«, sagte Laura.
»Katje Selous.« Die Fremde beugte sich zu ihr und streckte die mit Handschellen gefesselten Arme aus. Sie schüttelten einander die Hände, ungeschickt und lächelten.
»Katje Selous, A.C.A. Corps!« sagte Laura triumphierend.
»Was?«
»Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich sah es auf einer Liste von Gefangenen.«
»Ach!« sagte Selous. »Wir sind eine staatliche Entwicklungshilfeorganisation. Und ich bin Ärztin in einem Flüchtlingslager.«
»Sie sind aus Südafrika?«
Selous nickte. »Und Sie sind Amerikanerin?«
»Rizome Industries Group.«
»Rizome...« Selous wischte sich Schweiß von der Stirn. Auch sie hatte die ungesunde Blässe einer Gefangenen. »Ich kann sie nicht unterscheiden, die Multis…« Auf einmal lachte sie. »Stellte Ihr Unternehmen nicht diese Sonnencreme her? Die einen schwarz färbt?«
»Wie? Nein!« Laura hielt inne, dachte darüber nach. »Das heißt, ich weiß nicht. Vielleicht haben wir es getan. Ich bin seit zweieinhalb Jahren nicht in Verbindung. Aber ich weiß, daß das Zeug in Grenada entwickelt wurde. Mein Mann probierte es dort aus. Er könnte Rizome dafür interessiert haben. Er ist ein kluger Kopf, mein Mann. David heißt er.«
Die Erwähnung Davids riß plötzlich einen ganzen Teil ihrer Seele aus der Gruft. Ehe sie etwas dagegen unternehmen konnte, brach sie in Tränen aus. Hier saß sie, angekettet auf einem Armeelastwagen und unterwegs zu einem unbekannten Bestimmungsort, aber ein paar wiederbelebende Wort hatten genügt, sie neuerdings zu einem Teil der Welt zu machen, der Welt von Ehemännern und Kindern und Arbeit. Sie lächelte Selous durch ihre Tränen zu und schnupfte und zuckte entschuldigend die Achseln und blickte auf ihre Füße.
»Sie wurden in Einzelhaft gehalten, nicht?« fragte Selous.
»Wir haben auch ein Baby«, plapperte Laura. »Sie heißt Loretta.«
»Sie sind schon länger inhaftiert, als ich es bin«, sagte die andere. »Bei mir ist es ein knappes Jahr, seit sie mich aus dem Lager abholten.«
Laura schüttelte den Kopf, verärgert über den Verlust ihrer Selbstbeherrschung. »Wissen Sie, was vorgeht?«
Selous nickte. »Ich weiß ein wenig. Was ich von den anderen Geiseln hörte. Die Luftangriffe sollen von südafrikanischen Maschinen geflogen worden sein. Von meinen Leuten. Ich glaube, sie trafen irgendein Treibstofflager - der Himmel war die ganze Nacht rot.«
Das also war es, was sie durchgemacht hatte. Ein bewaffneter Zusammenstoß zwischen Mali und Südafrika. Es kam ihr undurchsichtig und unwahrscheinlich vor. Nicht, daß ein innerafrikanischer Krieg unwahrscheinlich gewesen wäre, so etwas kam ständig vor. Diese Auseinandersetzungen waren in den Tageszeitungen der entwickelten Länder längst auf die dritte Seite verbannt worden, und in den Fernsehnachrichten waren sie allenfalls ein paar Sekunden wert. In Europa und Amerika mochte niemand so recht glauben, daß es sich um echte Kriege handelte, daß sie sich in einer wirklichen Welt aus Staub und Hitze und zerfetztem Metall ereigneten.
Die Südafrikaner wurden von den Nachrichtenmedien keiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt; sie waren nicht sehr beliebt. »Ihre Maschinen müssen eine weite Strecke geflogen sein.«
»Wir haben
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