Inseln im Netz
wünschte sogar, daß Emily Donato ihr nichts gesagt hätte.
Emerson knabberte an einem Praline und blickte über das Wasser hinaus. »Bisher waren es nur Scharmützel, reines Imponiergehabe. Aber bald werden sie zur Sache kommen. Der kritische Punkt sind ihre Erpresser. Mit unserer Hilfe und ein wenig Anleitung werden sie sich zur Selbstverteidigung zusammenschließen.«
Eine Möwe sah, daß Emerson aß. Sie segelte heran und hielt sich hoffnungsvoll flatternd über ihr und etwas außerhalb des Geländers in der Luft. Ihre Augen blitzten. »Zusammenschließen?« fragte Laura.
»Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört, Laura. Was die Datenpiraten gefährlich macht, ist die Kleinheit ihrer Organisationsstruktur und die Schnelligkeit ihrer Reflexe. Eine große, zentralisierte Gruppe wird bürokratisch.«
»Meinen Sie?«
»Sie haben Schwächen, die wir nicht haben«, sagte Emerson. Sie brach ein Stück von ihrem Praline und beobachtete den segelnden Vogel. »Die Hauptschwäche krimineller Gruppen ist der ihnen innewohnende Mangel an Vertrauen. Deshalb verlassen sich so viele von ihnen auf die Blutsbande von Familien. Besonders Familien aus gering geachteten ethnischen Minderheiten - ein doppelter Grund, gegen die Außenwelt zusammenzuhalten. Aber eine Organisation, die sich nicht auf die freiwillige Loyalität ihrer Mitglieder verlassen kann, ist gezwungen, sich auf Organisationsstrukturen zu verlassen. Auf industrielle Methoden.«
Sie lächelte. »Und das bedeutet Regeln, Bestimmungen, strenge Hierarchien. Gewalt ist nicht Rizomes Stärke, Laura, aber wir verstehen etwas von Organisationsstrukturen. Zentralisierte Bürokratien beschützen immer den Status quo. Sie sind für Neuerungen nicht zu haben. Sie empfinden Neuerungen als Bedrohung. Es ist nicht so schlimm, daß sie uns durch Diebstahl Schaden zufügen; das eigentliche Problem entsteht, wenn sie schneller und wendiger denken und handeln, als wir es können.«
»Je größer, desto schwerfälliger, ist das die Strategie?« sagte Laura. »Was ist aus dem guten alten Prinzip ›teile und herrsche‹ geworden?«
»Es geht hier nicht um Politik, sondern um Technik. Nicht ihre Macht bedroht uns, sondern ihr Einfallsreichtum. Kreativität kommt von kleinen Gruppen. Kleine Gruppen bescherten uns das elektrische Licht, das Automobil, den Personalcomputer. Bürokratien gaben uns Atomkraftwerke, Verkehrsstaus und Kabelfernsehen. Die ersten drei veränderten alles. Die drei letzteren sind heute nur noch Erinnerung.«
Drei weitere Möwen tauchten über ihnen auf. Sie kreisten anmutig in engen Schleifen, ohne einander zu berühren, und kreischten mißtönend. Laura sagte: »Meinen Sie nicht, daß wir zu energischeren Maßnahmen greifen sollten? Wie zum Beispiel ihrer Verhaftung?«
»Ich kann Ihnen nicht verdenken, daß Sie mit dieser Überlegung kommen«, sagte Emerson. »Aber Sie wissen nicht, was diese Leute überlebt haben. Sie gedeihen durch Verfolgung, es eint sie. Es erzeugt eine Kluft zwischen ihnen und der Gesellschaft, es bewirkt nur, daß sie ohne die geringsten Gewissensbisse ihrer räuberischen Tätigkeit nachgehen. Nein, Laura, wir müssen sie wachsen lassen, wir müssen erreichen, daß sie am Status quo interessiert sind. Es ist ein langfristiges Ringen. Es kann Jahrzehnte dauern. Ein Leben lang. Genau wie der Abrüstungsprozeß.«
»Mmm«, machte Laura. Die Überlegung gefiel ihr nicht besonders. Die ältere Generation verbreitete sich ständig über die Abrüstung. Als ob die Abschaffung von Bomben und Raketen, die geeignet waren, die Welt zu zerstören, übermenschliche Genialität erfordert hätte. »Nicht jeder teilt diese Philosophie, denke ich. Oder diese Datenhaie würden jetzt nicht hier sein und sich in den Haaren liegen.« Sie dämpfte ihre Stimme. »Wer, meinen Sie, erpreßt sie? Einer von ihnen, vielleicht? Diese Singapurer… sie sind so hochmütig und geringschätzig. Sie sehen ziemlich verdächtig aus.«
»Könnte sein«, sagte Emerson gleichmütig. »Wer die Erpresser auch sind, es handelt sich um Profis.« Sie warf den Möwen den Rest ihres Pralines zu und rieb sich fröstelnd die Oberarme. »Es wird kühl.«
Sie gingen hinein. Im Ferienheim hatte sich eine Art Routine herausgebildet. Die Singapurer zogen sich nach den Verhandlungen stets in ihre Räume zurück. Die Europäer unterhielten sich im Konferenzraum und trieben die Telekommunikationsrechnungen des Ferienheims in die Höhe.
Die Grenadiner wiederum schienen am
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