Inseln im Netz
anfangen sollte. Laura beschloß, sie auf die Veranda hinauszutragen. Das beruhigte sie gewöhnlich. Und es schien eine angenehme Nacht zu sein. Sie zog ihren Bademantel über.
Ein Dreiviertelmond stand am Himmel. Laura ging barfuß über die taufeuchten Planken. Mondschein auf der Brandung. Es war ein durchsichtiges Leuchten, so schön, daß es beinahe kitschig schien.
Sie ging hin und her, machte begütigende Geräusche, während Lorettas Geschrei allmählich in leises Gewimmer überging. Laura dachte an ihre Mutter. Mütter und Töchter. Diesmal würde es anders sein.
Ein jähes, prickelndes Gefühl kam über sie, verwandelte sich plötzlich in Angst. Sie blickte erschrocken auf und sah etwas Unglaubliches.
Es schwebte summend in der Luft, beschienen vom Mond. Eine Sanduhr, quer durchschnitten von zwei schimmernden Scheiben. Laura schrie laut auf. Die Erscheinung hing einen Augenblick lang dort, wie um sie zu zwingen, an ihre Gegenwart zu glauben. Dann neigte sie sich ein wenig auf die Seite und zog in einem Bogen hinaus zur See. Wenige Minuten später hatte sie das Ding aus den Augen verloren.
Das Baby war zu verschreckt, um zu schreien. Laura hatte es in ihrer Panik unbewußt an sich gedrückt und dadurch und durch ihren Schrei eine Art Urreflex im Baby ausgelöst. Einen Reflex aus der Steinzeit, als vor der bergenden Höhle und außerhalb des schützenden Feuerscheins knurrende Raubtiere schlichen, angelockt von der Witterung von Milch und jungem Fleisch. Ein Zittern schüttelte Laura von Kopf bis Fuß.
Eine der Türen zu den Gästezimmern wurde geöffnet. Das Mondlicht schimmerte auf Winston Stubbs' grauem Haar. Den Rattenschwanzzöpfen eines Schamanen. Er trat heraus auf die Veranda, nur mit Jeans bekleidet. Seine Brust hatte das eingesunkene Aussehen des Alters, aber er war kräftig. Und er war ein anderer.
»Ich hörte einen Schrei«, sagte er. »Was ist los, Kind?«
»Ich sah etwas«, antwortete Laura mit bebender Stimme. »Es erschreckte mich. Verzeihen Sie.«
»Ich war wach«, sagte er. »Hörte das Baby weinen. Wir alten Leute schlafen nicht viel. Ein Vagabund, vielleicht?« Er überblickte den Strand. »Ich brauche meine Brille.«
Der Schock verlor sich. »Ich sah etwas in der Luft«, sagte sie mit etwas festerer Stimme. »Eine Art Maschine, glaube ich.«
»Eine Maschine?« sagte Stubbs. »Kein Gespenst?«
»Nein.«
»Sie sehen aus, als sei ein Gespenst gekommen, Ihnen das Kind wegzunehmen«, sagte Stubbs. »Aber eine Maschine... das gefällt mir nicht. Es gibt Maschinen und Maschinen, wissen Sie… könnte ein Spion sein.«
»Ein Spion?« sagte Laura. Es war eine Erklärung, und sie setzte ihr Gehirn wieder in Tätigkeit. »Ich weiß nicht. Ich habe unbemannte Flugzeuge gesehen, sogenannte Drohnen. Sie werden gelegentlich zum Versprühen von Insektiziden auf Felder verwendet. Aber sie haben Flügel. Sie sind nicht wie fliegende Untertassen.«
»Sie sahen eine fliegende Untertasse?« sagte Stubbs, sichtlich beeindruckt. »Das ist kritisch! Wohin ist sie geflogen?«
»Gehen wir hinein«, sagte Laura fröstelnd. »Seien Sie froh, daß Sie das Ding nicht gesehen haben, Mr. Stubbs.«
»Aber ich sehe etwas«, sagte Stubbs. Er zeigte seewärts, und Laura wandte sich um.
Das Ding kam in einem Bogen rasch auf sie zu. Es schnurrte. Mit hoher Geschwindigkeit fegte es über den Strand, und als es nahe herangekommen war, eröffnete es das Feuer. Ein schnatternder Feuerstoß schlug in Stubbs' Brust und Bauch, warf ihn gegen die Wand. Das fliegende Ding zog seitwärts über das Dach davon, sein Brummen verlor sich in der Dunkelheit. Stubbs rutschte an der Wand herunter und sackte auf die Planken. Seine Rattenschwanzfrisur hing schief. Sie war eine Perücke. Darunter zeigte sich sein kahler Schädel.
Laura hob benommen eine Hand an die Wange. Etwas hatte sie dort gestochen. Sandkörner, dachte sie unbestimmt. Sandkörner, die aus den Einschlaglöchern der Kugeln, die den alten Mann durchschlagen hatten, gespritzt waren. Die Löcher sahen im Mondlicht schwarz aus. Sie waren voll von seinem Blut.
3. Kapitel
Laura sah zu, als sie den Toten fortschafften. Den toten Mr. Stubbs. Den lächelnden, munteren Winston Stubbs, ganz augenzwinkernde piratenhafte Durchtriebenheit, jetzt ein kleiner kahlköpfiger Leichnam mit aufgerissenem Leib. Laura lehnte am nassen Verandageländer, als der Wagen mit dem Metallsarg davonfuhr. Verdrießliche Stadtpolizisten in naß glänzenden gelben Regenmänteln standen
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