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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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in Gruppen auf der Zufahrt. Am Morgen hatte Regen eingesetzt, eine trübe Septemberfront vor dem Festland.
    Laura machte kehrt und stieß die Glastür zum Foyer auf. Das Ferienheim machte einen Eindruck von Leere, wie ein verwüstetes Gebiet. Alle Gäste waren fort. Die Europäer hatten bei ihrer panischen Flucht Gepäck zurückgelassen. Auch die Delegation aus Singapur hatte während der allgemeinen Verwirrung rasch und verstohlen das Weite gesucht.
    Laura ging hinauf zum Hauptbüro. Es war kurz nach neun. Debra Emerson nahm Anrufe beim Zentralausschuß auf Band; mit ruhig murmelnder Stimme nahm sie zum vierten Mal die Einzelheiten der Ermordung durch. Die Telefaxmaschine spuckte winselnd Text aus.
    Laura schenkte sich Kaffee ein und verschüttete etwas davon auf den Tisch. Sie setzte sich und nahm die Presseerklärung der Terroristen auf. Sie war nur zehn Minuten nach der Mordtat über Fernschreiber eingegangen. Sie hatte den Text bereits dreimal gelesen, jedesmal mit ungläubiger Benommenheit. Jetzt las sie die Erklärung ein weiteres Mal. Sie mußte verstehen. Sie mußte sich damit auseinandersetzen.
     
    FAKT DIREKTE AKTION - SONDERBULLETIN
    Kommandos der Freien Armee Kontra Terrorismus vollstreckten am 12. September Zweitausenddreiundzwanzig um 7:21 Uhr mitteleuropäischer Zeit das Todesurteil an Winston Gamaliel Stubbs, einem sogenannten Handlungsbevollmächtigten der piratenhaften und subversiven Zentrale des organisierten Verbrechens, die als United Bank of Grenada firmiert. Die unterdrückte Bevölkerung von Grenada wird frohlocken über diesen seit langem fälligen Akt der Gerechtigkeit gegen die in illegalen Drogenhandel und Datenpiraterie verstrickte, kryptomarxistische Junta, welche die politischen Wünsche der gesetzestreuen Bevölkerung des Inselstaates für ihre verbrecherischen Ziele mißbraucht, seit sie die Macht usurpiert hat.
    Die Vollstreckung des Todesurteils fand im Rizome-Ferienheim Galveston, Texas, USA (Telex GALVEZRIG, Telefon 7134.549.898) statt, wo die Rizome Industries Group, ein in Amerika ansässiges multinationales Unternehmen, an einer kriminellen Verschwörung mit den grenadinischen Übeltätern beteiligt war.
    Wir beschuldigen die vorerwähnte Gesellschaft, Rizome Industries Group, des Versuches, in einem unmoralischen und illegalen Schutzarrangement, das die schärfste Verurteilung durch die nationalen und internationalen Gerichtshöfe verdient, zu einer feigen Übereinkunft mit diesen verbrecherischen Gruppen zu gelangen. Mit diesem Akt kurzsichtiger Gier hat Rizome Industries Group in zynischer Weise die Anstrengungen gesetzlicher Institutionen zur Bekämpfung des kriminell unterstützten Staatsterrorismus verraten.
    Es ist seit langem die erklärte Politik der Freien Armee Kontra Terrorismus, gegen verbrecherische Organisationen vorzugehen, die Staatswesen unterwandern und das Prinzip nationaler Souveränität pervertieren. Hinter der Maske ihrer Scheinlegalität hat die United Bank of Grenada terroristische Organisationen in aller Welt mit Geldmitteln, Informationen und subversivem Material unterstützt. Insbesondere hat der hingerichtete Übeltäter Winston Stubbs enge persönliche Verbindungen zu so berüchtigten terroristischen Gruppen wie den Rittern von Jah in Tansania, der Inadin-Kulturrevolution und den anarchistischen Zellen auf Kuba unterhalten.
    Indem sie diese Bedrohung der internationalen Ordnung eliminierte, hat FAKT Recht und Gesetzlichkeit einen wertvollen Dienst erwiesen. Wir werden unseren Kurs direkter militärischer Aktion gegen die wirtschaftlichen, politischen und personellen Hilfsquellen der sogenannten United Bank of Grenada fortsetzen, bis diese unmenschliche und unterdrückerische Institution vollständig und dauernd liquidiert ist.
    Ein geheimdienstliches Dossier über die Verbrechen des hingerichteten Winston Stubbs kann in den Archiven der United Bank selbst abgerufen werden: Direktwahl: (033) 75.664.543, Konto ID: FR 2774. Zugang: 23555AK. Kennwort: FREIHEIT.
    Laura legte den Ausdruck beiseite. Der Text las sich wie kommunistische Parteiprosa der Stalinära. Weder Anmut noch Feuer, nur dampfbetriebenes, roboterhaftes Gehämmer. Jeder PR-Profi hätte es besser gemacht - sie hätte es besser gemacht… dennoch spürte sie ein jähes Aufbranden hilfloser Wut, so übermächtig, daß ihr die Tränen kamen. Sie unterdrückte die Aufwallung, zog den perforierten Streifen vom Ausdruck und rollte ihn zwischen den Fingern, starrte ins Leere.
    »Laura?«

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