Inseln im Netz
ist heute anders.«
»Du hättest eine dieser treibenden Leichen im Wasser sein können, die dich so entsetzten. Oder ich, oder das Kind. Begreifst du das nicht?«
»Ich weiß es besser als du«, sagte sie grimmig. »Du standest nicht neben mir, als sie Stubbs töteten.«
David errötete. »Das zu sagen, ist niederträchtig. Ich stehe jetzt neben dir, nicht wahr?«
»Tust du es?«
Seine Backenmuskeln traten heraus, und er blickte auf seine Hände, als müsse er sie mit einer Willensanstrengung daran hindern, sie zu schlagen. »Nun, das kommt darauf an, nicht? Darauf, was du dir in den Kopf setzt.«
»Ich kenne meine langfristigen Ziele«, sagte Laura. »Was du von dir nicht sagen kannst.« Sie streichelte die Wange des Babys. »In welch einer Welt wird sie leben? Das ist, was auf dem Spiel steht.«
»Das hört sich sehr edel an«, sagte er, »und ist doch nur eine Haaresbreite von Größenwahn entfernt. Die Welt ist größer als wir zwei. Wir leben nicht ›global‹, Laura. Wir leben miteinander. Und mit unserem Kind.«
Er holte tief Atem, stieß ihn aus. »Ich habe genug davon, das ist alles. Vielleicht bin ich einmal an die Reihe gekommen – gut, ich habe mich für Rizome in die Frontlinie gestellt. Ich tue meine Pflicht, registriere Kampfhandlungen und Leichen. Ich lasse mir mein Haus über dem Kopf anzünden. Aber zum Sterben zahlen sie mir nicht genug.«
»Niemand hat je genug dafür bezahlt«, sagte Laura. »Aber wir können nicht zusehen, wie Menschen ermordet werden, und sagen, das sei eine traurige Sache, gehe uns aber nichts an.«
»Wir sind nicht unentbehrlich, Laura. Stell deinen Ehrgeiz zurück und laß jemand anders Jeanne d'Arc spielen.«
»Aber ich weiß, was geschieht«, sagte sie. »Das macht mich wertvoll. Ich habe gesehen, was andere Leute nicht gesehen haben. Nicht einmal du, David.«
»Großartig«, sagte David. »Nun fängst du auch noch damit an, daß ich durchs Leben gehe wie durch Nebel. Paß auf, Mrs. Webster, ich habe vom wahren Grenada einen guten Teil mehr gesehen als du. Die eigentlichen Dinge - nicht den Unsinn dieses trivialen Machtgehabes, das du mit der Seilschaft deiner alten Mädchen inszenierst. Verdammt noch mal, Laura! Du mußt lernen, Rückschläge hinzunehmen und deine Grenzen anzuerkennen!«
»Du meinst, deine Grenzen.«
Er starrte sie an. »Klar, wenn du es so sehen willst. Meine Grenzen. Ich habe sie erreicht. Damit hat es sich. Ende der Diskussion.«
Sie sank in ihren Sitz zurück, siedend vor Zorn. Er wollte sie nicht mehr anhören. Sollte er sehen, wie ihm Stillschweigen gefiel.
Nach ein paar Stunden Stillschweigen merkte sie, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Aber da war es zu spät zur Umkehr.
Auf dem Flughafen von Havanna kam Polizei an Bord. Die Passagiere wurden abgeführt - nicht gerade mit vorgehaltener Waffe, aber doch so, daß es kein großer Unterschied war. Es war dunkel und regnete. Hinter einer Absperrung drängten sich die Vertreter der spanischsprechenden Presse, hoben Kameras und riefen Fragen. Ein Fluggast versuchte auf sie zuzugehen und winkte mit den Armen, wurde aber rasch wieder zurückgescheucht.
Sie wurden in einen Seitenflügel des Abfertigungsgebäudes geführt, der von Militärfahrzeugen umringt war. Es wimmelte von Zollbeamten. Und die Leute aus Wien waren zugegen - ausgesucht gekleidete Zivilisten mit Videobrillen und tragbaren Datenanschlüssen.
Die Polizei ordnete die Flüchtlinge in Reih und Glied. Kubanische Polizisten, die Ausweise zu sehen verlangten. Sie eskortierten eine Gruppe triumphierend grinsender Techniker an den finster blickenden Wienern vorbei. Kompetenzgerangel der Gesetzeshüter. Kuba hatte sich für die Konvention nie erwärmen können. Jemand rief auf japanisch: »Laura-san ni obanashi shitai no desuga!«
»Wakarimashita«, antwortete sie. Sie machte die Rufer aus - ein junges japanisches Paar, das neben einem uniformierten kubanischen Polizisten neben dem Ausgang stand. »Komm mit!« sagte sie zu David - ihr erstes Wort zu ihm, seit sie vor Stunden das Gespräch abgebrochen hatten - und ging auf die beiden zu. »Donata ni goyo desu ka?«
Die Frau lächelte schüchtern und verneigte sich. »Rara Rebsta?«
»Hai«, sagte Laura. »Die bin ich.« Sie zeigte zu David. »Kore wa David Webster to in mono desu.«
Die Frau griff nach Lorettas Tragtasche. David, überrascht, ließ es geschehen. Die Frau rümpfte die Nase. »O mutsu o torikaete kudasai.«
»Ja, wir haben keine mehr«, sagte Laura.
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