Inseln im Netz
können? In Ihrer wunderbar schönen Netz-Welt mit all ihren verdammten Daten und Informationen? Nein, daran haben Sie nie gedacht, nicht wahr? Wenn ich mir einen Platz im Leben erkämpfen konnte, dann geschah es gegen Leute wie Sie.«
Sie zog sich das Kopftuch wieder über. »Und älter wird man auch. Ich wette, Sie haben sich nie gefragt, was aus alten Tempelhuren wird. Wenn wir diese alte schwarze Magie nicht mehr auf Ihre kostbaren Ehemänner anwenden können. Nun, sorgen Sie sich nicht um mich, Mrs. Webster. Unsere Göttin steht den ihrigen bei. Unsere Kirche betreibt Krankenhäuser, Kliniken, Altersheime - wir kümmern uns um die Menschen. Die Göttin gab mir mein Leben, nicht Sie oder Ihr Netz. Also schulde ich Ihnen nichts!« Sie schien drauf und dran, Laura anzuspucken. »Vergessen Sie das nie!«
David kam mit den Tickets. »Alles geregelt. Wir sind draußen. Gott sei Dank.« Ein Flug wurde angekündigt, und Unruhe kam in die Menge. Das Baby begann zu wimmern. David nahm die Tragtasche. »Alles in Ordnung, Carlotta?«
Carlotta schenkte ihm ein sonniges Lächeln. »Ich bin ganz zufrieden. Und zu Hause in Galveston kommen Sie mich alle besuchen, nicht? Unsere Reverend Morgan hat gerade einen Sitz im Stadtrat gewonnen. Wir haben große Pläne für Galveston.«
»Das ist unser Flug«, sagte David. »Gut, daß wir nicht mehr Gepäck haben - aber Mann, werde ich diesen Werkzeugkasten vermissen!«
6. Kapitel
Es war ein Alptraum von einem Flug - wie im Viehwaggon. Überall war Gepäck gestapelt, jeder Sitz besetzt, und viele Flüchtlinge saßen in den Gängen. Nichts zu essen oder zu trinken. Sofort entwickelte sich ein Schwarzer Markt, eingezwängt in ein fliegendes Aluminiumgefängnis.
Fünf bewaffnete kubanische Luftverkehrspolizisten waren an Bord. Sie hatten alle Hände voll zu tun, Unternehmer abzuwehren - verschwitzte Geschäftemacher, die versuchten, harte Währung zusammenzukratzen. Ihre grenadinischen Rubel waren nicht konvertierbar und jetzt wertlos; sie brauchten Euro oder Dollar und verkauften alles - Ringe für den kleinen Finger, Streifen mit Drogenaufklebern, Schwestern, wenn sie welche hatten… Abgeschnitten von der Welt, zehntausend Meter über der Karibik, aber immer noch fixiert auf das gewohnte Ritual des Feilschens, nur schneller jetzt, besinnungslos, sprunghaft und nervös…
»Wie eine Eidechse, die ihren Schwanz abwirft«, sagte Laura. »So hat die Bank es mit diesen Leuten gemacht. Soll das Netz dieses Gelichter haben, soll die Wiener Hitze sie in die Mangel nehmen. Zur Ablenkung der Aufmerksamkeit.«
»Du sagtest Andrej, du würdest nach Singapur gehen?« sagte David.
»Ja.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte David. In seinem entschlossensten Ton.
»Wir stecken jetzt zu tief drin, um zurückzuweichen.«
»Unsinn«, versetzte er. »Heute hätten wir umkommen können. Dies ist nicht mehr unser Problem. Es ist viel zu groß für uns.«
»Was also sollen wir tun? Zu unserem Ferienheim zurückgehen und hoffen, daß sie uns vergessen werden?«
»Sie hatten es nicht auf uns abgesehen, Laura«, sagte David. »Außerdem gibt es andere Ferienheime. Wir könnten im Austausch eins übernehmen. Irgendwo in den Bergen, ein Refugium, wo wir uns entspannen und der Fernsehhektik entkommen können. Wo wir unsere Gedanken sammeln können.«
Ein Refugium. Laura gefiel die Idee nicht. Das war etwas für Ruheständler, oder für Versager. Ein Leben in ländlicher Abgeschiedenheit mit erholungsbedürftigen, meist älteren Hausgästen, während andere Leute die Entscheidungen trafen. »Das taugt nicht«, sagte sie. »Es würde Rizomes Vermittlungsversuch diskreditieren. Wir hatten recht, den Versuch zu machen. Wir mußten etwas tun. Die Dinge spitzen sich zu - dies beweist es.«
»Dann sollte es Sache des US-Außenministeriums sein«, sagte David. »Oder der Wiener Behörden. Einer globalen Instanz. Nicht unseres Unternehmens.«
»Rizome ist global! Außerdem würde Grenada keinen Yankee-Diplomaten als Verhandlungspartner anerkennen. Das Außenministerium… David, du könntest genausogut Leute mit großen Plakaten vorn und hinten hinschicken, auf denen ›Geisel‹ steht.« Sie rümpfte die Nase. »Es gibt in ganz Lateinamerika keinen vernünftigen Menschen, der an eine faire und uneigennützige Vermittlerrolle der US-Regierung glaubt.«
»Dies ist ein Krieg. Kriege werden von Regierungen geführt, nicht von Unternehmen.«
»Das ist eine veraltete Ansicht«, entgegnete Laura. »Die Welt
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