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Inseln im Strom

Inseln im Strom

Titel: Inseln im Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sehe sie immer vor mir, wie sie dort zwischen diesen Zebras sitzt. Es kann aber sein, daß ihr der Club Room mehr ans Herz gewachsen war.»
    Als das vorüber war, tat er sich mit einem der schlimmsten Reinfälle zusammen, die Thomas Hudson je über den Weg gelaufen waren. Äußerlich war sie ein vollkommener Bruch mit den drei letzten Cenci-oder Park Avenue-Borgia-Typen, denn sie sah richtig gesund aus, hatte lohfarbenes Haar und schöne lange Beine, eine sehr gute Figur und ein intelligentes, lebhaftes Gesicht. Obwohl das Gesicht nicht schön war, wirkte es doch anziehender als die meisten, und sie hatte schöne Augen. Sie war gescheit und sehr liebenswürdig und, wenn man sie kennenlernte, charmant, aber sie war eine ausgemachte Säuferin. Dabei war sie noch nicht hinüber, man sah ihr den Alkohol noch nicht an, aber sie stand ständig unter Alkohol. Normalerweise kann man es jemandem, der richtig trinkt, an den Augen ansehen, und Rogers Augen sah man es immer sofort an. Aber dieses Mädchen, Kathleen, hatte wirklich wunderschöne lohfarbene Augen, die zu ihrem Haar und zu den kleinen, lustigen Sommersprossen um die Nase und auf den Wangen paßten, die auf eine gute, gesunde Natur schließen ließen, und man sah ihren Augen nie an, was gerade in ihr vorging. Sie machte den Eindruck eines Mädchens, das regelmäßig zum Segeln geht oder sonst irgendwie ein sehr gesundes Leben in der frischen Luft führt, und sie sah aus wie jemand, der sich sehr wohl fühlt. Tatsächlich trank sie aber nur. Sie befand sich auf einer sonderbaren Reise irgendwohin, und ein Stück weit nahm sie Roger mit.
    Aber eines Morgens tauchte er in dem Atelier auf, das sich Thomas Hudson in New York gemietet hatte, und der Rücken seiner linken Hand war bedeckt von Brandwunden. Es sah aus, als hätte jemand seine Zigarettenkippen auf dem Tischtuch ausgedrückt, nur daß das Tischtuch sein Handrücken gewesen war.
    «Das war es, worauf sie heute nacht Lust hatte», sagte Roger. «Hast du ein bißchen Jod? Ich will mit dieser Hand nicht in die Apotheke gehen.»
    «Wer ist ‹sie›?»
    «Kathleen. Das Frischluft-Mädchen.»
    «Und du mußtest das mitmachen?»
    «Es schien sie zu amüsieren, und wir sind schließlich dazu da, ihnen Spaß zu machen.»
    «Sie hat dich schön zugerichtet.»
    «Nicht weiter schlimm. Immerhin werde ich die Stadt eine Zeitlang verlassen.»
    «Du läufst dir doch nicht selber weg.»
    «Aber viele von meinen Bekannten nehme ich nicht mit.»
    «Wo willst du hin?»
    «Eine Weile in den Westen.»
    «Die Geographie ist keine Kur für das, was du hast.»
    «Nein. Aber vernünftiges Leben und viel Arbeit können nicht schaden. Nichts trinken hilft mir nicht, aber so gottverdammt viel trinken hilft auch nicht.»
    «Dann mach, daß du wegkommst. Willst du auf meine Ranch hinauf?»
    «Hast du die noch?»
    «Ein Stück davon.»
    «Ist es dir recht, wenn ich dahin gehe?»
    «Natürlich», hatte Thomas Hudson gesagt, «aber es ist rauh jetzt da oben, bis Frühling ist, und im Frühling ist es auch nicht einfach.»
    «Ich möchte es gerade ruppig haben», hatte Roger gesagt. «Ich will einen neuen Anfang machen.»
    «Wie viele Male hast du nun schon neu angefangen?»
    «Ein paarmal zuviel. Und du brauchst es mir nicht unter die Nase zu reiben.»
    Das war also nun der neue Anfang, und wie würde es ausgehen diesmal? Wie konnte er sich einbilden, daß er es wirklich schaffen würde, anständig und gut zu schreiben, wenn er sein Talent und seine Arbeit verwirtschaftete, bloß um Geld zu machen? Alles, was ein Maler malte oder ein Schriftsteller schrieb, war ein Teil seiner Übung und Vorbereitung auf das, was er zu leisten hatte. Roger hatte sein Talent mißbraucht, weggeworfen und verausgabt. Aber vielleicht besaß er genug physische Kraft und freie Intelligenz, daß er es noch einmal schaffte. Jeder begabte Schriftsteller mußte imstande sein, einen guten Roman zu schreiben, wenn er nur ehrlich war, dachte Thomas Hudson, aber Roger hatte die ganze Zeit über, die er für die Vorbereitung dagewesen war, mit seiner Begabung Schindluder getrieben, und wer konnte ahnen, ob ihm jetzt noch ein Rest zur Verfügung stand? Von métier will ich nicht reden, dachte er. Wie konnte sich einer einbilden, daß er sein Handwerk vernachlässigen oder verachten oder überhaupt verleugnen durfte, ehrlich oder geheuchelt, um dann erwarten zu können, daß seine Hände oder sein Gehirn es noch beherrschten, wenn sie es brauchten? Es gibt keinen Ersatz

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