Inseln im Strom
wenigstens in ein anderes quartier?»
«Weil ich mich hier wohl fühle», hatte Roger gesagt.
«Ich kenn das Rezept. Je me trouve très bien ici et je vous prie de me laisser tranquille.»
«Anfangen tut es mit je refuse de recevoir ma femme», hatte Roger gesagt, «und man sagt’s zu einem huissier. Aber es ist ja keine Scheidung, es ist nur eine Trennung.»
«Wird es dir nicht schwerfallen, sie nicht zu sehen?»
«Nein. Es wird mich kurieren, das und ihr Geklatsch.»
«Und wie steht es mit ihr?»
«Das muß sie sich selbst überlegen. Sie hat sich eine ganze Menge überlegt in den letzten vier Jahren.»
«Fünf sind’s», hatte Thomas Hudson gesagt.
«Ich glaube nicht, daß sie im ersten Jahr schon soviel nachgedacht hat.»
«Verschwinde lieber», hatte Thomas Hudson gesagt. «Wenn du meinst, daß sie sich’s nicht gleich im ersten Jahr überlegt hat, dann fahr weg, so weit wie möglich.»
«Sie kann fabelhafte Briefe schreiben. Wegfahren würde es nur schlimmer machen. Nein, ich bleib hier, hier in der Stadt. Ich muß es jetzt lernen, ein für allemal.»
Nachdem er und das Mädchen sich in Paris getrennt hatten, war Roger wie losgelassen, richtig losgelassen. Er machte Witze darüber und machte sich über sich selbst lustig, aber innerlich war er wütend, daß er sich so zum Narren gemacht hatte, und er widmete sich seinem Talent zur Treue, das seine beste Eigenschaft war, ausgenommen, daß er malen und schreiben konnte und verschiedene gute menschliche und animalische Seiten besaß, und quälte und mißhandelte dieses Talent elendiglich. Er benahm sich miserabel, wenn er losgelassen war, jedermann, besonders aber sich selbst gegenüber, und er wußte und haßte es, und trotzdem war es ihm unmöglich, die Kirche im Dorf zu lassen. Es war eine sehr gute und stark gebaute Kirche, und wer sie in sich hatte, tat sich schwer damit, sie nicht dort zu lassen, aber er tat, was er konnte. Er hatte drei Mädchen, eine nach der anderen, und Thomas Hudson brachte es knapp fertig, höflich zu ihnen zu sein. Für die letzten beiden fand er überhaupt nur die Entschuldigung, daß sie ihn an die erste erinnerten, und die war gleich nach der anderen gekommen, mit der Roger gebrochen hatte. Sie war einfach eine Nummer zu schlecht für Roger, obwohl sie fortfuhr in ihrer fabelhaften Karriere, und zwar außerhalb wie innerhalb des Betts, und es schaffte, sich ein gutes Stück eines der dritt-oder viertgrößten Vermögen von ganz Amerika zu sichern, und danach ins nächste einheiratete. Ihr Name war Thanis, und Thomas Hudson erinnerte sich, daß Roger jedesmal zusammengezuckt war, wenn er ihn gehört, und ihn nie selber in den Mund genommen hatte, wenn andere dabei gewesen waren. Er nannte sie einfach ‹Bitchy die Große›. Sie war brünett und hatte eine hübsche Haut und wirkte wie ein sehr junges, sehr gepflegtes, unersättlich lasterhaftes Mitglied der Familie Cenci. Sie besaß die Moral eines Staubsaugers und die Seele eines Totalisators, eine hübsche Figur und ein hübsches, verdorbenes Gesicht, und sie blieb nur so lange bei Roger, bis ihr der nächste Schritt, aufwärts im Leben, geglückt war.
Sie war das erste Mädchen, das Roger je verlassen hatte, und das hatte ihm einen so tiefen Eindruck gemacht, daß die beiden nächsten, die er sich aussuchte, ihr so ähnlich sahen, als stammten sie aus derselben Familie. Er verließ beide, verließ sie wirklich, und Thomas Hudson kam es vor, als fühlte er sich danach besser, wenn auch nicht sehr viel besser.
Wahrscheinlich gibt es zivilere und liebenswürdigere Möglichkeiten, sich von einem Mädchen zu trennen, als sich einfach – ohne weitere Unfreundlichkeiten oder daß es je einen Krach mit ihr gegeben hätte – zu entschuldigen und in der Herrentoilette des Club 21 zu verschwinden, um nicht wiederzukommen. Roger hatte immerhin, wie er erzählte, seine Rechnung beim Geschäftsführer bezahlt, und es machte ihm Spaß, an den letzten Anblick zurückzudenken, den sie – allein an einem Ecktisch und in dem Dekor, das ihr so gut stand und das sie so sehr liebte – geboten hatte. Das war im Club 21 gewesen. Die nächste wollte er im Stork sitzenlassen, da sie sich dort immer sehr wohl gefühlt hatte, aber er hatte Angst, daß Mr. Billingsley Anstoß daran nehmen könnte, und Mr. Billingsley war es, den er gerade anpumpen mußte.
«Wo hast du sie also gelassen?» hatte Thomas Hudson ihn gefragt.
«Im El Morocco. Sie mochte auch das El Morocco sehr, und ich
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