Inseln im Wind
Eugene. Plötzlich kam Unruhe auf. Weitere Männer tauchten auf, schrien Warnungen, die Akin wegen des brausenden Windes nicht verstand. Dann setzte die Nachricht sich fort und erreichte auch ihn. Alles brüllte wild durcheinander, niemand schien zu wissen, was als Nächstes zu tun war.
» Englische Truppen gelandet!«
» Sie rücken auf Bridgetown vor!«
» Sie werden uns alle niedermachen!«
» Zu den Waffen!«
» Ruft die Soldaten zusammen!«
Der Gouverneur rannte zurück ins Haus, gefolgt von dem jungen Lackaffen Eugene. Niemand achtete auf Akin, der den Moment nutzte, um einen Ausfall zu wagen. Er warf sich auf den ihm am nächsten stehenden Mann, rammte ihm den gesenkten Kopf ins Gesicht. Der Angegriffene fiel mit blutender Nase zu Boden, doch die anderen sprangen augenblicklich auf ihn los. Akin wehrte sich wie ein Löwe, er biss und trat und kratzte und wand sich erbittert, wollte lieber sterben als aufgeben, doch dann traf ihn ein wuchtiger Schlag auf den Hinterkopf, und die Welt um ihn herum versank in Schwärze.
58
H arold blieb am Ende der Gasse in sicherer Entfernung vom Chez Claire stehen. Das rot gestrichene Holzhaus war von allen Seiten schwer bewacht, von fünf Kerlen, von denen mindestens zwei zu Duncan Haynes’ Mannschaft gehörten. Harold erkannte sie wieder, ihre Visagen waren ihm von seinem Aufenthalt auf der Elise noch gut genug in Erinnerung. Während er sie anstarrte, fiel ihm schlagartig ein, dass das auch für die beiden Kerle galt, die ihn neulich abgefangen und mit vorgehaltenen Pistolen hierher eskortiert hatten. Auch das waren Haynes’ Männer gewesen.
Als er vorhin Dunmore Hall leer vorgefunden hatte, hatte er zunächst befürchtet, umherziehende Banden hätten die Frauen und das Kind verschleppt, und er hatte sich dafür verflucht, dass er sie schutzlos zurückgelassen hatte. Doch rasch war klar geworden, dass es sich um einen geplanten Auszug handelte. Sie hatten alles mitgenommen. Sogar die Stute und das Gold. Nur das verdammte Virginal hatten sie zurückgelassen. Er hatte sofort gewusst, wo er Elizabeth suchen musste, schließlich hatte sie sich schon einmal bei Claire verkrochen. Nur, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, warum sie ausgerechnet hier Schutz suchte. Jetzt dagegen begriff er es. Die Französin war eine gute Freundin dieses verfluchten Duncan Haynes.
Der Wind schleuderte Dreck und morsches Holz und Treibgut von der Mole durch das Hafenviertel, doch Harold achtete nicht darauf. Nicht von William Noringham war die eigentliche Gefahr ausgegangen, sondern von Duncan Haynes. Die ganze Zeit über, von Anfang an. Schon bevor Elizabeth überhaupt einen Fuß auf die Eindhoven gesetzt hatte. Schon bevor sie Roberts Frau geworden war. Duncan Haynes, den sie damals in London am Tage der Hinrichtung kennengelernt hatte. Duncan Haynes, der Wege gefunden hatte, sie noch vor der Hochzeit wiederzusehen. Nun erinnerte sich Harold auch wieder an seine Irritation, als er den Kleinen bei Miranda abgegeben hatte, und ihm wurde klar, was sie hervorgerufen hatte: die Ähnlichkeit des Kindes mit dem Kaperkapitän.
Harold warf den Kopf in den Nacken und schrie seinen Hass und seinen Zorn hinaus. Zwei der Kerle, die vor dem Haus postiert waren, fuhren herum. Ihre gezückten Säbel blitzten im Licht der Sturmlampe, die über dem Eingang hing.
» Hast du das gehört?«, hörte Harold einen der beiden rufen. » Ob da einer Ärger machen will?«
Die Erwiderung verstand er nicht, doch die Männer kamen auf ihn zu. Hastig drehte Harold sich um und rannte davon.
59
A ls Akin zu sich kam, lag er gefesselt in dem großen Holzkäfig, in den die Herren gelegentlich Sklaven und andere Gefangene steckten. An manchen Tagen, wenn er unter Aufsicht seines Herrn oder des Aufsehers den verkaufsfertigen Zucker in die Lagerschuppen an den Docks hatte schleppen müssen, hatte Akin zu dem Käfig hinübergesehen und sich vorgestellt, wie sich die bedauernswerten Insassen fühlen mussten, gefesselt und geschunden von Peitsche oder Brandzeichen, ohne einen Tropfen Wasser der sengenden Mittagshitze preisgegeben. Jeder konnte dort stehen bleiben und sie verhöhnen, bespucken oder mit Steinen bewerfen, wovon regelmäßig und reichlich Gebrauch gemacht wurde.
An diesem Tag war jedoch alles anders. Er wusste nicht, wie viele Stunden er hier besinnungslos gelegen hatte und ob das matte Dämmerlicht vom hereinbrechenden Abend kam oder vom Nahen des Orkans, doch es spielte keine Rolle, denn bei diesem
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