Inselsommer
und bewundert hatte.
Doch das Haus war nicht die einzige Überraschung.
»Frau Gregorius, das freut mich aber!« Auf einmal stand Adalbert Vrohne, meine Bekanntschaft vom Strand, vor mir und lächelte mich warmherzig an. »Sehen Sie? Der Zufall führt uns doch wieder zusammen!«
Bea schaute verwirrt hin und her.
»Ihr beiden kennt euch?«
»Ja. Frau Gregorius war so nett, mir vergangenen Mittwoch Gesellschaft zu leisten und mich zu einer köstlichen Tasse heißer Schokolade einzuladen. Wir sind uns zufällig in Westerland am Strand begegnet, kamen ein wenig ins Plaudern, und dann führte eins zum andern.«
Adalbert Vrohne grinste schelmisch, während Bea die Stirn runzelte. Kein Wunder, schließlich hatte sie bis eben geglaubt, ich sei erst seit Freitag auf Sylt. Doch sie verlor kein Wort darüber, sondern fasste sich schnell wieder:
»Wenn ihr euch bereits kennt, dann ist ja alles bestens! Paula ist gerade zu Gast bei mir und wollte mal in deinen Kurs reinschnuppern. Das ist dir doch recht, oder?«
»Mir sind alle willkommen, die sich auf die Suche nach ihrer eigenen Mitte machen und Ruhe finden wollen.«
Mit diesen Worten dirigierte er uns in einen hellen Raum mit Blick auf das Keitumer Watt. Außer uns waren noch zehn Teilnehmer da, die mich gespannt anschauten. Adalbert stellte sich den neu hinzugekommenen Kursteilnehmern vor, verteilte Yogamatten und setzte sich uns gegenüber.
»Richtet eure Aufmerksamkeit zunächst bitte auf die Augen, die Stirn und die Schläfen«, sprach er mit angenehm leiser Stimme. »Spürt nach, ob eure Augen entspannt in den Höhlen ruhen und wie ihr euch fühlt. Dann richtet euer Augenmerk auf Lippen, Zunge, Mundhöhle und lockert die Kiefermuskulatur.«
Dummerweise fiel mir allein schon die Sitzhaltung äußerst schwer, denn ich hatte in den letzten Jahren viel zu viel gearbeitet und kaum Sport getrieben.
Nach außen versuchte ich natürlich so zu tun, als sei ich vollkommen entspannt im Hier und Jetzt. Tapfer redete ich mir ein, meine Augen hätten genug Platz in ihren Höhlen, und dass mein Atem frei wie ein Wildbach floss.
»Wir versuchen nun, alle störenden Gedanken auszuschalten und uns nichts anderem hinzugeben als dem Gefühl, bei uns selbst zu sein …«, fuhr Adalbert fort.
So, wie er das sagte, klang das alles sehr verlockend. Allerdings gingen meine Gedanken gerade wieder auf Wanderschaft. Beschämt über meine mangelnde Konzentrationsfähigkeit schielte ich zu Bea, deren Lippen ein seliges Lächeln umspielte. Auf einmal sah sie zehn Jahre jünger aus. Vermutlich besuchte sie diesen Kurs schon seit Jahren und hatte keinerlei Mühe, sich zu entspannen und ihre Gedanken auszuschalten.
Verdammt noch mal!
Warum besaß ich keinen Aus-Knopf?
Nicht nur für meine Gedanken – sondern vor allem für meine Gefühle!
»Na, wie war’s? Fühlst du dich jetzt erleuchtet?«, scherzte Bea nach der Stunde, als wir unsere Matten zusammenrollten.
»Das würde mich allerdings auch interessieren«, wollte Adalbert ebenfalls wissen. »Habt ihr Lust auf einen Tee? Wir könnten ihn im Strandkorb auf der Terrasse trinken.«
Ich war irritiert. Genoss Bea hier eine Sonderstellung, oder galt der Vorschlag eher mir?
»Na klar«, antwortete Bea fröhlich. »Und da passt es doch ganz hervorragend, dass ich rein zufällig Friesentorte im Gepäck habe.« Sprach’s und holte eine Tupper-Kuchenschale aus ihrem Rucksack. »Keine Sorge, die stammt vom Bäcker, wir können sie also bedenkenlos essen.« Sie lachte und stellte ihr Mitbringsel auf den runden Holztisch auf der Terrasse mit Blick auf die Schönheit des Nationalparks Wattenmeer. Es war wie im Paradies.
Bea schnitt den cremigen Traum aus saurer Sahne und Pflaumenmus an.
»Wieso Sorge?«, fragte ich verwirrt und reckte meine Glieder. Dummerweise fühlte ich mich jetzt weitaus verspannter als vor der Meditation. Mein Kopf schmerzte, und mein Nacken war hart wie ein Brett. Ob es hier einen guten Masseur gab?
»Bea kokettiert nur«, entgegnete Adalbert und stellte eine Thermoskanne und drei Teller mit Servietten und Kuchengabeln auf den Tisch. Dann verteilte er die Tortenstücke. »Sie konnte zwar früher wirklich nicht kochen, ließ sich dann aber von ihrer Freundin Vero animieren. Bedauerlicherweise bildet sie sich aber nach einigen durchaus passablen Versuchen ein, dass ihre Talente woanders liegen. Dabei habe ich deine Krabbensuppe und das Ratatouille immer sehr gern gegessen, meine Liebe.«
»Ach was, das können andere
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