Inselsommer
Mommsen gestern am Telefon. »Ehrlich gesagt hatte ich es total verschwitzt, aber Herr Mommsen war so nett, uns den verpassten Termin nicht in Rechnung zu stellen, sondern mit mir bei Gelegenheit einen neuen auszumachen.«
»Oh, das ist aber großzügig von ihm«, entgegnete Larissa und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Scheinbar hast du Eindruck auf ihn gemacht, denn er hat den Ruf, ein guter Geschäftsmann zu sein. Soweit ich weiß, ist er Single. Nur, falls es dich interessiert …«
»Lissy, was plapperst du da für einen Unsinn?« Bea nahm ihrer Nichte die Vasen ab. »Ich würde vorschlagen, du kümmerst dich um die Dame da vorne, anstatt Paula verkuppeln zu wollen.«
Larissa zog einen Flunsch, bestimmt allein schon deshalb, weil ihre Tante sie
Lissy
genannt hatte.
»Lass gut sein, Bea«, wiegelte ich ab. »Ich denke, wir sollten uns jetzt alle ein wenig beeilen, bevor eine Meute hungriger Gäste bei uns einfällt und die Blumen aus den Vasen isst.«
Am späten Vormittag erhielt Bea endlich den erlösenden Anruf: Hinrich hatte die Bypass-Operation den Umständen entsprechend gut überstanden und würde nach dem Eingriff noch eine Weile im Krankenhaus bleiben und danach mindestens eine dreiwöchige Reha machen.
Obwohl Vero überglücklich war, bereitete ihr eines großes Kopfzerbrechen: Ihr Mann wollte nicht nur, dass sie in der Klinik bei ihm blieb und ihn in die Reha begleitete, sondern auch dass Vero anschließend nicht mehr so viel im Büchernest arbeitete. Wenn es nach ihm ginge, am besten überhaupt nicht mehr. Der Infarkt hatte ihm nicht nur einen riesigen Schrecken eingejagt, sondern ihm auch bewusst gemacht, wie sehr er an Vero hing und wie kostbar die Zeit war, die sie zusammen verbrachten.
Nachdem Bea Larissas und meine Genesungswünsche ausgerichtet und das Telefonat mit Vero beendet hatte, wurde nach und nach klar, welche Konsequenzen Hinrichs Wunsch langfristig für das Büchernest nach sich ziehen würde.
»Oje, das muss ich erst mal verdauen«, murmelte Bea. »Und das geht am besten an der frischen Luft. Kann ich dich kurz allein lassen, Paula?« Ich nickte, während ich Brötchenhälften belegte.
Kaum war ich allein, kam ich erneut ins Grübeln. Im Klartext bedeutete Veros Anruf, dass sie über kurz oder lang nicht mehr als Köchin zur Verfügung stehen, sondern sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen würde.
Auch wenn sie mit siebzig körperlich genauso fit wie Bea war, erstaunte es schon, dass sie noch so viel arbeitete und sich darüber hinaus um den Bauernhof in Morsum kümmerte. Ich an ihrer Stelle hätte es vorgezogen, gemütlich auf dem Sofa zu liegen, als tagaus, tagein zu schuften.
Doch augenscheinlich war diese Generation anders gestrickt: Sie war zeitlebens Disziplin gewohnt und konnte sich ein Leben im Müßiggang nicht vorstellen. Soweit ich wusste, werkelte Vero nach ihrem Dienst im Büchernest noch in ihrem riesigen Nutzgarten herum. Voller Leidenschaft und in bester Bio-Qualität züchtete sie Zucchini, Bohnen, Kartoffeln, Möhren, Kürbisse – und seit neuestem sogar Artischocken. Vieles fand den Weg in die Küche des Büchernests, und die Gäste schätzten die frischen und gesunden Lebensmittel genauso wie ich.
Ich wagte es kaum, den Gedanken zu Ende zu denken, der mich verführerisch anlächelte. Wenn ich auf Sylt blieb, um Veros Stelle einzunehmen, konnte ich noch mehr Abstand zu meinem alten Leben mit Patrick gewinnen. Auch wenn mich immer wieder Traurigkeit überfiel, genoss ein Teil von mir diesen neuen Lebensabschnitt. Doch angenommen, Bea und Larissa stimmten meiner Idee zu: Wo sollte ich wohnen?
Ich konnte unmöglich auf Dauer in dem kleinen Zimmer bleiben. Und auf Sylt herrschte absolute Wohnungsnot. Nicht umsonst pendelten täglich zahllose Menschen vom Festland, vorwiegend Klanxbüll und Niebüll, nach Sylt. Selbst wenn es mir gelingen sollte, ein freies Apartment oder eine Ferienwohnung zu finden, wäre beides längerfristig unbezahlbar.
»Na, woran denkst du?« Bea trat neben mich und schenkte sich einen Schluck Orangensaft ein. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich sie nicht hatte hereinkommen hören.
»Ich grüble über eine Lösung für die Küche nach«, antwortete ich, vermied es jedoch, sie anzuschauen. Eine kluge Frau wie Bea hätte mir sofort an der Nasenspitze angesehen, was ich vorhatte.
»Mach dir keinen Kopf über Dinge, die dich nicht betreffen. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du uns so
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