Inselsommer
Rieke, das kriegen wir schon hin. Du weißt ja, in der Ruhe liegt die Kraft – und für die Ruhe bin ab sofort ich zuständig. Also sag den Gästen, dass sie ihr Essen pünktlich serviert bekommen. Allerdings wäre es nicht schlecht, sie zuvor ein wenig mit Weißbrot und Oliven zu besänftigen. Und einigen Würfeln Keitumer Ziegenkäse.«
Rieke grinste.
»Wird erledigt.« Und schon war sie wieder durch die Schwingtür verschwunden.
Als ich abends erschöpft im Bett lag und meine Glieder wohlig ausstreckte, fühlte ich mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich hatte eine klare Aufgabe gehabt und sie zusammen mit Bea, Adalbert und Rieke bewältigt.
Endlich hatte ich etwas Sinnvolleres getan, als Kunden das passende Bild zu ihrer Einrichtung zu verkaufen.
Und ich hatte nicht an meine emotionale Misere gedacht.
Ich rekelte mich im Bett und dachte an Hinrich und Vero. Leider hatte es bisher keine Entwarnung gegeben. Vero saß die ganze Zeit an Hinrichs Krankenbett und wurde nur kurz von Bea abgelöst, um sich frischzumachen und sich die Beine zu vertreten. Ich schickte Hinrich all meine positiven Gedanken und Wünsche und hoffte, dass sie etwas bewirkten.
Doch mit einem Mal überfiel mich das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Ich wusste nur nicht, was.
In meinem Kopf tanzten Bestellungen, Rezepte, Kochzutaten, Gewürze und Gemüse einen wirren, aber wunderschönen Küchen-Tango. Um Perfektion bemüht, ging ich jedes Detail für morgen durch. An sich war so weit alles vorbereitet, ich hatte sogar an die Bestellung für die Bäckerei gedacht.
Endlich fiel es mir siedend heiß ein: Ich hatte in all der Aufregung nicht daran gedacht, den Sylt-Rundflug abzusagen. Sofort griff ich nach meinem Handy, um Sönke Mommsen anzurufen und mich zu entschuldigen.
Doch es war gar nicht eingeschaltet gewesen, und ich hatte drei Nachrichten auf meiner Mailbox, alle von Sönkes Tochter.
Da es erst zehn Uhr war, wählte ich die Nummer von Sylt-Fly, und hatte erstaunlicherweise Sönke Mommsen selbst am Apparat. Kaum hatte ich meinen Namen genannt, sagte er zu meiner großen Überraschung:
»Es tut mir sehr leid, was mit Hinrich passiert ist. Ich hoffe, es geht ihm bald besser!«
Erstaunt über seine feinfühlige Reaktion murmelte ich:
»Oh, danke schön, das ist aber wirklich großzügig von Ihnen.« Ich versprach, mich sobald wie möglich wegen eines neuen Termins zu melden. Als ich aufgelegt hatte, stellte ich fest, wie sehr ich mich auf den kommenden Tag freute.
27 . Kapitel
D onnerstagmorgen erwachte ich schweißgebadet.
Ich hatte geträumt, dass ein wütender französischer Chefkoch auf mich eingeschrien und gedroht hatte, mir eins mit der Bratpfanne überzuziehen. Ich hatte vom Zwiebelschneiden Tränen in den Augen und konnte mich nicht wehren.
Bloß ab unter die Dusche!, dachte ich und stand auf.
Draußen war ein strahlend blauer Tag angebrochen, und ich atmete am offenen Fenster ein paarmal ein und aus, während Seeschwalben in glänzend silbernen Schwärmen am Horizont flogen. Ich hätte noch stundenlang am Fenster stehen können. In Hamburg sah ich von unserer Wohnung aus nur Tauben und Krähen.
»Paula? Bist du schon wach, oder soll ich ein wenig nachhelfen?«, hörte ich Bea im Flur rufen und musste lachen. Bevor ich hier im Kapitänshaus Zuflucht gefunden hatte, hätte ich mir niemals vorstellen können, so eng mit jemandem zusammenzuleben, den ich kaum kannte.
»Ich komme schon, du kannst dir also die Wasserpistole und den nassen Waschlappen sparen«, antwortete ich und öffnete die Zimmertür. »Heute trinke ich meinen Kaffee übrigens unten in der Küche, sonst schaffe ich es nicht rechtzeitig ins Büchernest.« Nach einer kurzen Stippvisite im Bad war ich bereit für meinen zweiten Arbeitstag in der Küche des Büchernests.
»Das sieht doch gut aus«, lobte ich Larissa, die die Speisekarte am Abend zuvor in Absprache mit Bea und mir neu entworfen und ausgedruckt hatte.
»Bei insgesamt fünf Gerichten werde ich hoffentlich nicht so schnell die Nerven verlieren wie gestern, es sei denn, dieser Fiete taucht doch wieder auf und zieht seine Show ab.«
Larissa lächelte verschmitzt und verteilte die neuen Karten auf den Tischen.
»Paula, hast du in der ganzen Hektik eigentlich daran gedacht, unseren Rundflug abzusagen?«, wollte sie wissen und sammelte die Vasen ein, die heute unbedingt mit frischen Blumen befüllt werden mussten. Ich dachte an die erstaunlich warme, sanfte Stimme von Sönke
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