Inselsommer
Dieser Abend hat mir deutlich klargemacht, dass ich überhaupt nicht offen für irgendetwas bin. Ich habe lange genug gebraucht, um meine Probleme in Hamburg halbwegs abzustreifen, und bin, was Patrick anbelangt, mit mir noch längst nicht im Reinen. Das ist keine besonders gute Voraussetzung, um sich auf etwas Neues einzulassen. Außerdem fühle ich mich gerade sehr wohl hier und möchte, dass es so bleibt.«
Larissa schien einen Moment lang zu überlegen, während ihr Blick einer Schar Möwen folgte.
Dann nickte sie.
»Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Und ich finde es richtig, dass du dir die Zeit nimmst. Viele würden sich in solch einer Situation sofort auf einen Flirt einlassen, um ihr Selbstbewusstsein zu pushen und sich abzulenken. Aber damit wird man weder sich selbst noch dem anderen gerecht, der womöglich echte Gefühle hat. Lass es am besten auf dich zukommen.«
»Ja, ich werde es langsam angehen lassen«, stimmte ich zu.
»Übrigens«, sagte Larissa mit blitzenden Augen, »hat Bea dir schon von unserem kleinen Literaturfestival erzählt, das in zwei Wochen beginnt?« Ich stutzte. Beteiligte das Büchernest sich etwa am Kampener Literatursommer, der seit vielen Jahren im Juli und August stattfand und zahlreiche prominente Autoren nach Sylt brachte?
»Wir haben seit drei Jahren eine eigene Veranstaltungsreihe, die sich von dem Literatursommer in Kampen abheben soll. Bei uns lesen nur
echte
Autoren, also keine Berühmtheiten, die gerade ein Enthüllungsbuch oder ihre Memoiren geschrieben haben. Corinna Hartmann wird wiederkommen, und auch Marco Nardi, ein ehemaliger Inselschreiber, den ich sehr mag, einige Autoren werden dir bestimmt gefallen. Außerdem gibt es viele Veranstaltungen für Kinder, die kleine Paula freut sich schon sehr darauf. Wir bekommen morgen den Flyer von der Druckerei. Beinahe alle Lesungen sind ausverkauft, wir haben also alle Hände voll zu tun.«
»Das klingt ja aufregend!«, freute ich mich, dachte dann aber sofort an das Catering. »Ist denn spezielles Essen zu den Veranstaltungen geplant?«
»Wir sollten uns spätestens Mitte der Woche alle zusammensetzen, um die Details zu besprechen. Vero hat schon angeboten, mitzuhelfen – vermutlich braucht sie etwas Abwechslung. Sie kann ja nicht ständig mit Hinrich zusammenhängen. Bente wird auf alle Fälle mehr arbeiten, und auch Olli hat angeboten, Zusatzschichten zu übernehmen.«
»Und wer ist dieser Marco? Sollte ich eines seiner Bücher kennen. Und was heißt eigentlich Inselschreiber?«, fragte ich neugierig. Irrte ich mich, oder wurde Larissa ein wenig verlegen?
»Ich kenne Marco seit über acht Jahren, weil er in dem Jahr ein Stipendium auf Sylt hatte, als ich Bea in der damaligen Bücherkoje vertreten habe. Er ist Halbitaliener aus Mailand, spricht aber perfekt Deutsch und hat sich mit seinem Romandebüt
Jenseits der Grenze
einen beachtlichen Namen in der Literaturszene gemacht. Um sich sein Folgebuch zu finanzieren, nahm er damals an der Ausschreibung der Sylter Quelle teil, die jedes Jahr einem Schriftsteller die Möglichkeit gibt, auf der Insel zu wohnen und an einem neuen Buch zu arbeiten. Es haben bereits namhafte Autoren diesen Preis gewonnen. Man kann doch nicht genug für die Literaturförderung tun.«
Mailand … Mailand …
In welchem Zusammenhang hatte ich erst neulich davon gehört?
Und dann fiel es mir wieder ein: Larissa hatte einmal ein Jobangebot in Mailand ausgeschlagen, weil sie wegen Leon auf Sylt bleiben wollte. Hatte ihr Wunsch, nach Italien zu ziehen, etwas mit diesem Marco zu tun gehabt?
Waren ihre Wangen deshalb gerötet? Mit einem Mal sah ich Larissa mit anderen Augen: Sie war nicht nur die sympathische, liebenswerte Nichte von Bea, die sehr an ihrem Mann hing und sich vor allem eines wünschte: Familie und Geborgenheit, sondern sie besaß auch eine andere, verborgene Seite und träumte anscheinend auch ab und zu davon, auszubrechen.
Zurück im Pavillon, googelte ich den Namen des Autors und wurde sofort fündig: Marco Nardi hatte sich eine beachtliche Karriere aufgebaut und sogar dreimal den Spitzenplatz auf der Spiegel-Bestsellerliste belegt.
Keine Ahnung, wieso ich bislang von seinen Romanen nichts mitbekommen hatte. Er war offenbar ein äußerst talentierter Schriftsteller und sah auch noch fantastisch aus. Genau
die
Mischung, die viele Frauenherzen garantiert höher schlagen ließ: dunkle, längere gewellte Haare, dunkelbraune, warme Augen und ein Dreitagebart, der die Attitüde
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