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Inselsommer

Inselsommer

Titel: Inselsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Engelmann
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und gerahmte, alte Fotos.
    Das Herzstück des Ateliers war ein antikes friesisches Sofa, auf dem eine – offenbar selbstgehäkelte – Decke lag. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Maunzen. Inekes Katze Lola sprang mit einem eleganten Satz auf das Sofa und kuschelte sich schnurrend auf die Decke.
    Der Arbeitsplatz der Malerin bestand aus einer Staffelei und einem großen Holztisch, auf dem zahllose Skizzen verstreut lagen. Daneben stand ein ebenfalls antiker Teewagen mit vielen Schachteln, Dosen und allerlei anderem Krimskrams.
    »Hier bewahre ich meine Fundstücke auf«, erklärte sie und öffnete eine Schachtel. Darin lagen Steine, Muscheln, Perlen und Federn. »Die größeren Stücke kommen in diese Kiste hier.«
    Ich musste lachen, als Ineke einen pinkfarbenen Flip-Flop hervorholte, der über und über mit dunkelgrünen Algen überzogen war.
    »Und was haben Sie damit vor?«, fragte ich amüsiert. Ich dachte unwillkürlich, dass man dieses Fundstück nur zu rahmen und mit
Ende eines Inselsommers
betiteln müsste, und schon wäre es ein Kunstwerk.
    »Ehrlich gesagt habe ich noch keine Ahnung. Aber es ist gut zu wissen, dass ich jederzeit Zugriff darauf habe. Oft schlummern diese maritimen Schätze jahrelang in meinen Kartons, bis sie eines Tages ihren Platz finden. Wie so vieles im Leben haben auch sie ihre Zeit. So, aber jetzt zu meinen Bildern. Machen Sie es sich bitte auf dem Sofa gemütlich.«
    Natürlich war ich davon ausgegangen, dass Ineke mir persönlich Bild für Bild präsentierte.
    Doch da hatte ich mich gewaltig getäuscht!
    Zu meinem großen Erstaunen rollte sie eine Leinwand von der Decke herab und stellte einen Beamer an. Dann setzte sie sich neben mich, kraulte Lola und beobachtete aus den Augenwinkeln meine Reaktion auf die unerwartete Multimedia-Show. Ich hätte schwören können, dass sie sich innerlich köstlich über mich amüsierte. Schon nach den ersten Aufnahmen wurde mir klar: Ineke Alwart war unglaublich talentiert. Ihre Bilder waren von einer Zartheit und Wärme, wie ich sie lange nicht gesehen hatte. Aus jedem Pinselstrich, jeder Applikation, jedem noch so kleinen Detail sprach eine unbändige Liebe zu ihrem Sujet, den berühmten Frauen. Ob Virginia Woolf, Mary Shelley, George Sand, Jane Austen, Marie Curie oder die Brontë-Schwestern, die Künstlerin würdigte sie auf unvergleichliche Weise, als würde sie sie wie keine zweite kennen.
    »Seit wann machen Sie das?«, fragte ich überwältigt. Ineke lächelte verschämt, und die Katze, die sich auf einmal maunzend aus ihrer Umarmung wand, sprang vom Sofa.
    »Seit ich ungefähr vierzehn bin. Ich habe, seit ich denken kann, viel gelesen und mich immer schon für starke, unabhängige Frauen begeistert, die sich nicht um Konventionen oder bestimmte Weltbilder geschert haben. Genauso wie diese berühmte Sylterin hier.«
    Das letzte Bild zeigte eine Friesin, die einem offenbar adligen Herrn den Rücken zudrehte. Ineke stellte ihre Muse von der Seite dar, mit deutlich gerundetem Bauch, der auf eine Schwangerschaft schließen ließ. Die Kleider der Dame hatte sie aufwendig mit Perlen und Muschelsplittern verziert, wohingegen der Mann trotz seiner prunkvollen Kleidung schlicht gehalten war.
    »Das ist Merret Lassen aus Rantum«, erklärte Ineke, und ich hörte einen Anflug von Stolz in ihrer Stimme. »Sie ist eine der zahllosen tapferen Sylterinnen, die ihr Leben alleine gemeistert haben, weil die Männer meist zur See gefahren und häufig nicht mehr zurückgekehrt sind. Merret hatte mehr Glück und konnte ihrem norwegischen Ehemann insgesamt einundzwanzig Kinder gebären.«
    Ich schluckte. So viele Kinder? Kaum vorstellbar.
    Das bedeutete, dass Merret fast die gesamte Zeit ihres Erwachsenenlebens schwanger gewesen sein musste …
    »Diese Momentaufnahme zeigt sie zusammen mit dem dänischen König«, fuhr Ineke fort. »Er wollte die Frau kennenlernen, der es gelungen war, nach einem starken Sturm ihre Kinder und sich selbst aus dem überfluteten Haus zu retten. Doch Merret hielt nicht viel davon, sich zur Schau zu stellen. Also begrüßte sie den König nur kurz, und bevor sie zurück ins Haus ging, sagte sie zu ihm: ›Das bin ich von vorne. Und das bin ich von hinten.‹ Cool, oder?«
    Ich lächelte und amüsierte mich über das Wort
cool
aus Inekes Mund.
    Ob Bea wohl entfernt mit Merret Lassen verwandt war?

41 . Kapitel
    A uch nicht schlecht«, murmelte Larissa, nachdem ich ihr von Inekes außergewöhnlichen Kunstwerken vorgeschwärmt

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