Inselzirkus
irgendwann die Miete nicht mehr zahlen konnte.
Erik wandte sich dem Wachmann zu, der sich vor ihm aufgebaut hatte, und präsentierte ihm den Dienstausweis. »Ich möchte Bruce Markreiter sprechen. Und Herrn Eidam auch.«
Der Wachmann studierte den Ausweis ausgiebig, dann sagte er: »Herr Eidam ist nicht auf Sylt. Den kenne ich gar nicht.«
»Dann führen Sie mich bitte zu Herrn Markreiter.«
Der Wachmann öffnete die Schranke und lieà Erik und Sören passieren. »Ich bringe Sie zu Tanja Möck. Die hat hier den Ãberblick. Sicherlich kann sie Ihnen sagen, wo Markreiter steckt.«
Er ging ihnen voran auf einen Zirkuswagen zu, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Büro« hing. Auf dem Weg dorthin sah Erik sich unauffällig um. Was für eine seltsame Atmosphäre! Die Leichtbauhalle in der Mitte des Platzes war groÃ, hässlich, funktional, aber zu ihrem Glück war sie von den Zirkuswagen umgeben, die sich der Halle zuwandten und sie mit ihren offenen Türen anzulächeln schienen. Dieser Kontrast machte den Eindruck der Halle, die so deutlich ein Provisorium war, erträglich.
Als Erik in der Zeitung gelesen hatte, dass der Inselzirkus in diesem Jahr etwas später beginnen würde, weil Eidam-TV den Platz gemietet hatte, wo der Zirkus seit vielen Jahren seine Manege aufschlug, hatte er sich geärgert. Jetzt allerdings kam es ihm so vor, als gäbe es nur für ein paar Wochen einen neuen Zirkusdirektor. Fernsehleute schienen auch zum fahrenden Volk zu gehören. Sie saÃen auf den Stufen der Zirkuswagen und genossen die gute Luft, liefen über den Platz, mit Staffagen und allen möglichen Requisiten beladen oder mit Papierstapeln unter dem Arm. Aus einem der Wagen ertönte Musik, und wer über den Platz ging, summte oder trällerte die Melodie mit. Ja, hier gastierte ein moderner Zirkus!
Erik war ein wenig mit »Liebe, Leid und Leidenschaft« versöhnt, obwohl die Telenovela Unruhe auf die Insel gebracht hatte, die sogar bis in seine Familie getragen worden war. Ãberall auf Sylt musste man damit rechnen, auf Kameras zu stoÃen, auf Leute mit Headsets und wichtigen Gesichtern, die Passanten anhielten und ihnen den Durchgang verwehrten. »Stopp! Wir drehen!«
Als das Inselblatt den Aufruf verbreitet hatte, dass Eidam-TV Komparsen suchte, war sein Ãrger noch gröÃer geworden. Nun aber war er bereit, diesen modernen Zirkus zu akzeptieren, vorausgesetzt, Carolin heulte nicht mehr, wenn er nach Hause zurückkam. Dann würde er gleich morgen mit Mamma Carlotta zum Lister Hafen fahren und dort mit ihr Fisch essen.
Er griff nach dem Arm seines Assistenten, der gerade den Bürowagen betreten wollte. Unauffällig nickte er zu einer jungen Frau, die auf die Schranke zuging, um den Platz zu verlassen. »Die kenne ich irgendwoher«, tuschelte er.
Sören grinste. »Besser, Sie lassen sich kein Autogramm geben. Ich glaube, das käme nicht gut.«
Erik sah ihn verständnislos an, und Sören grinste noch breiter. »Das ist Alina Olsted, die neue Referendarin. Haben Felix und Carolin nicht beide bei ihr Unterricht?«
»Stimmt!« Nun erinnerte sich Erik, Alina Olsted auf dem letzten Elternabend gesehen zu haben. Früher hatte Lucia solche lästigen Pflichten übernommen, und er selbst suchte jedes Mal nach Gründen, den Elternabend zu schwänzen. Aber immer wenn Felix ihn verdächtig eifrig in dieser Absicht bestärkte, ging er dann doch. Und bei dem letzten Elternabend, der im Januar kurz vor den Halbjahreszeugnissen stattgefunden hatte, war ihm Alina Olsted aufgefallen. Danach hatte er ihren Namen häufig gehört. Carolin himmelte die neue Referendarin an, die ihr anscheinend ein ganz neues Verständnis für Literatur vermittelt hatte.
»Was die wohl hier macht?«, fragte Erik.
Sören verdrehte die Augen. »Was geht uns das an?«
»Gar nichts!« Erik fiel wieder ein, dass er Sören ein Vorbild sein wollte. Ein Chef, der auch nach Alkoholgenuss noch in der Lage war, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Also folgte er Sören in den Bürowagen, wo eine Frau am Computer saÃ, die die Hände in den Schoà gelegt hatte und ihnen aufmerksam entgegensah. Anscheinend hatte sie ihr kurzes Gespräch mitgehört und sich gefragt, auf welchen Besuch sie sich einzustellen hatte.
Auch sie schien nicht in diesen modernen Zirkus zu passen. Breit und
Weitere Kostenlose Bücher