Inside Occupy
durchzuziehen? Daran, sie lahmzulegen, und sei es auch nur für einen Augenblick, war eigentlich gar nicht zu denken.
Die verrücktesten Ideen wurden laut. Die Polizei würde uns zahlenmäßig haushoch überlegen sein. Vielleicht könnten wir die übermächtige Präsenz der Staatsgewalt gegen die Cops selber ins Feld führen und versuchen, sie lächerlich aussehen zu lassen. Eine der Ideen bestand darin, ein Kokain-Embargo auszurufen: Wir könnten eine Menschenkette rund um die Börse bilden und dann erklären, wir ließen erst wieder Kokain hinein, bis Wall Street unseren Forderungen nachgäbe. (»Und nach drei Tagen gibt’s auch keine Nutten mehr!«) Wenn schon sonst nichts, dann würde uns ja das die Aufmerksamkeit der Medien bringen. Die müssten dann dokumentieren, wie uns die Polizei verprügelte, nur damit die Dealer wieder in die Börse könnten. Eigentlich eine clevere Idee, weil sie nicht nur dazu angetan war, ein Licht auf die Heuchelei des Kriegs gegen die Drogen zu werfen, sondern auch auf die Tatsache, dass es der Job der Polizei ist, verbrecherischen Zockern zu ermöglichen, weiter ihren Geschäften nachzugehen. Aber auch eine alberne Idee. Erstens ging es uns ja gar nicht um Koks oder Heroin, zweitens stünden uns, würden wir tatsächlich jemanden nach Drogen untersuchen, Anklagen wegenschwerer Tätlichkeiten ins Haus; und drittens war ja die ganze Aktion für einen börsenfreien Samstag geplant.
Eine weitere – etwas praktischere – Idee war die, dass die Arbeitsgruppe zur Koordination mit Platzbesetzern in Griechenland, Spanien, Deutschland und im Nahen Osten für irgendeine Art Internetverbindung sorgen sollte, über die sich einschlägige Bilder auf die Wand der Börse projizieren ließen. Etwas in der Art, so meinten wir, würde langfristig dem Aufbau der Bewegung helfen; es würde uns irgendwie das Gefühl geben, wir hätten tatsächlich etwas geschafft, sogar schon am ersten Tag – selbst wenn es nie zu einem zweiten kommen würde. Kleine Siege dieser Art sind entscheidend. Das Ganze erwies sich jedoch angesichts unserer begrenzten Ressourcen an Zeit und Geld als technisch nicht machbar.
Um ganz ehrlich zu sein: Den meisten von uns Veteranen lag in diesen hektischen Wochen in der Hauptsache nur daran, dass das ursprünglich geplante Event sich nicht als totales Fiasko erweisen sollte. Wir wollten einfach irgendwie gewährleisten, dass all die enthusiastischen jungen Leute, die da zum ersten Mal an einer große Aktion teilnehmen würden, nicht niedergeknüppelt, verhaftet oder psychisch traumatisiert werden würden, während die Medien – wie üblich – in die andere Richtung sähen.
Es kam zu all den unvermeidlichen Konflikten. Die Grummeligeren aus dem harten Kern der New Yorker Anarchistenszene weigerten sich mitzumachen, ja, verspotteten uns vom Spielfeldrand aus als Reformisten. Die aufgeschlosseneren Anarchisten, also Leute wie ich selbst, erledigten schließlich den größten Teil der Arbeit, die bei der Organisation von Moderation und Schulung anfiel. Wir verwendeten viel Zeit auf das Gerangel mit den in unserer Gruppe verbliebenen Vertikalen, indem wir alles dafür taten, es nicht zu einer formalen Führungsstruktur kommen zu lassen. Die WWP hatte sich zwar schon früh aus der Organisation ausgeklinkt, aber etwa ein Dutzend ISO-Sympathisanten drängte ständig auf größtmögliche Zentralisierung.
Zu einer der heftigsten Auseinandersetzungen kam es um die Frage von Demosprechern und Verbindungsleuten zur Polizei. Die Vertikalen vertraten – nach ihren Erfahrungen mit Bloombergville – die Position, es sei eine schlichte praktische Notwendigkeit, zwei oder drei geschulte Unterhändler als Demoleiter und Schnittstelle zur Polizei mit dabei zu haben, schon um die Besetzer auf dem Laufenden zu halten. Die Horizontalen (und ich spreche hier, wie ich gestehen muss, in erster Linie von mir) betonten nachdrücklich, dass ein solches Arrangement auf der Stelle in eine Führungsstruktur umschlagen würde. Die Polizei versucht grundsätzlich, irgendwelche Führer zu identifizieren, und sorgt, wenn sie keine ausmachen kann, selbst für eine Führungsstruktur, indem sie sich direkt mit den Unterhändlern arrangiert und dann darauf besteht, dassdiese (und die Demoleiter) die getroffenen Abmachungen durchsetzen. Über diese Frage kam es sogar zu einer Abstimmung oder, genauer gesagt, zu einer Probeabstimmung. Dazu bittet der Moderator die Leute, die Finger zu heben (Zustimmung), sie
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