Inside Occupy
2000 –, dass wir nicht so recht wussten, ob eine Vollversammlung unter diesen Umständen überhaupt möglich war. Zuerst stellte sich irgendeiner der Organisatoren – ein Student von außerhalb, glaube ich – auf eine der massiven Steinbänke, die den Park rundum zieren, und verkündete, wir sollten uns für eine Stunde in Gruppen zu dreißig zu einem Brainstorming über eine wirklich demokratische Gesellschaft aufteilen – oder was immer den Teilnehmern sonst noch als politisch besonders wichtig erscheinen mochte. Wer auch immer sich das ausgedacht hatte, das erwies sich als wirklich gute Entscheidung. Nicht lange, und der Park war ein Gewirr aus kleinen Kreisen, was der Prozessgruppe, die hastig zusammentrat, die Möglichkeit gab, eilends einen Plan auf die Beine zu stellen.
Hinsichtlich der Moderation, so viel war klar, würde das der Job des Jahrhunderts. Immerhin hatten wir eine Reihe erfahrener Freiwilliger an Bord: Marina Sitrin, eine weitere alte Aktivistin vom Direct Action Network, die ich ursprünglich mit hinzugebeten hatte, um uns in rechtlichen Fragen zu helfen, die schon mehrfach erwähnte Marisa, ferner einen bemerkenswert netten und soliden palästinensischen Aktivisten namens Amin Husain, Matt und Lisa Fithian. Das war gut so, denn hier war ein Riesenteam gefragt. Wir hatten uns rasch auf zwei Hauptmoderatoren geeinigt, zwei Hilfsmoderatoren (von denen ich einer war), zwei Redelistenführer, einen Protokollführer, der die Entscheidungen notierte, einen Vibes-Watcher, der sich unter die Menge mischen sollte, um zu sehen, ob jeder was mitbekam und ob es offenkundige Anzeichen von Unzufriedenheit, Frustration oder Langeweile gab. Dann müssten wir sofort etwas unternehmen.
Vorerst beschlossen wir, einen riesigen Kreis zu bilden. Eine junge Spanierin mit offenbar einschlägigen Erfahrungen aus Madrid intervenierte sofort, aber es war schon zu spät. Der Kreis fand sich umständlich zusammen, und es erwies sich als dummer Fehler, dazu aufgerufen zu haben. Dass sich ein Moderatorenteam von der Mitte eines solchen großen, mehrtausendköpfigen Kreises aus mehr als der Hälfte der Versammelten verständlich machen könnte, ist ein Ding der Unmöglichkeit, da kann es noch so schreien. Richtig wäre gewesen, einen Halbkreis mit Gassen zu bilden, so dass die Redner hätten nach vorne gehen und sich von dort aus an die Versammelten wenden können. Aber das fiel uns so schnell nicht ein.
So verbrachten wir die ersten Minuten damit, eine Methode zu finden, wie alles allen gleichzeitig mitzuteilen wäre. Wir trieben schließlich einige Megaphone auf und zurrten einmal sogar ein Mikro und drei Megaphone zu einer provisorischen Gerätschaft zusammen, die einen Redner in drei Richtungen verstärkte. Aber selbst das funktionierte nicht wirklich.Schließlich wurde klar, uns blieb nichts anderes, als auf das Menschenmikrofon zurückzugreifen – ein weiterer Trick, der den meisten von uns noch aus den Tagen der Global-Justice-Bewegung bekannt war.
Niemand kann wirklich sagen, wie das Menschenmikrofon aufgekommen ist. Vielen kalifornischen Aktivisten ist das Werkzeug jedenfalls bereits seit der Zeit der WHO-Aktionen in Seattle im November 1999 vertraut. Bemerkenswert eigentlich, dass es nicht schon viel früher bezeugt ist. Es ist die perfekte Lösung für ein offensichtliches Problem, vor dem die Menschen seit Tausenden von Jahren bei großen Versammlungen immer wieder gestanden haben müssen. Vielleicht war es ja auch in früheren Perioden der Menschheitsgeschichte weit verbreitet und ist seiner Offensichtlichkeit wegen nur nie erwähnt worden. Der Trick ist recht einfach: Einer sagt laut etwas und legt alle zehn oder zwanzig Wörter eine Pause ein, während der jeder in Hörweite das Gesagte im Chor wiederholt, was zur Folge hat, dass alles doppelt so weit trägt wie normal. Das ist nicht nur praktisch, es hat auch, wie wir feststellen konnten, eine merkwürdige und zutiefst demokratische Wirkung. Zunächst einmal unterbindet es effektiv die bloße Volksrede. Die meisten Redner kommen erst gar nicht ins Faseln, wenn sie wissen, dass Tausende von Leuten darauf warten, jedes Wort zu wiederholen. Und da, zweitens, jeder reden kann und jeder alles wiederholen muss, zwingt es jeden, tatsächlich darauf zu hören, was jeder der anderen sagt.
Zu dem Zeitpunkt freilich hatten wir weniger die philosophischen Implikationen als vielmehr die praktischen Belange im Sinn. Wir waren 2000 Leute in einem Park, umgeben von
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