Inside Occupy
denen die Polizei sie einzuschüchtern und ihnen das Leben im Park schwer zu machen versuchte. So erlaubte sie etwa den Aktivisten noch nicht einmal, ihre Laptops bei heftigen Schauern mit einer Plane zu schützen; und im Lauf der Wochen waren bei kalkulierten terroristischen Übergriffen Schlagstöcke und Pfefferspray mit im Spiel.
Trotzdem, auch früher schon hatten unbeirrbare Aktivisten unter ähnlichen Bedingungen durchgehalten, und die Welt hatte sie geflissentlich übersehen. Wie meine ägyptische Freundin Dina konnte ich nicht umhin, mich zu fragen: Warum war das diesmal nicht so? Was haben wir endlich richtig gemacht?
Kapitel 2
Warum hat es diesmal geklappt?
Keiner von uns war gefasst auf das, was da passiert ist. Es war schon Überraschung genug, dass die Polizei die Besetzer nicht auf der Stelle vertrieb. Das wahrscheinlichste Szenario schien uns ein massiver Gewaltakt noch in derselben Nacht zu sein. Nur blieb der aus. Einer der Gründe dafür war die unklare rechtliche Lage. Normalerweise werden öffentliche Parks um Mitternacht geschlossen, aber der Zuccotti Park gehört der Investmentfirma Brookfield Office Properties und ist damit ein öffentlich-privater Hybrid. Formaljuristisch haben »der Öffentlichkeit zugängliche private Anlagen« dieser Art besagter Öffentlichkeit auch tatsächlich rund um die Uhr zugänglich zu sein. Nicht dass die bloße Existenz eines solchen Gesetzes die Behörden von der Räumung des Parks hätte abhalten können, hätte man sie beschlossen, aber es ließ ihnen eine Art Feigenblatt.
Zunächst bestand ihre Strategie darin, die Bedingungen mit einer endlosen Reihe kleiner Schikanen so unerträglich zu machen, dass wir einfach freiwillig gehen würden. Das »Zeltverbot« zum Beispiel wurde als »keine Planen, um bei Regen die Computer abzudecken« ausgelegt. Man schaltete den Strom ab und beschlagnahmte unsere Generatoren. Keiner der Demonstranten wurde festgenommen, weil er im Park genächtigt hätte, dafür aber für so gut wie alles andere: Am allerersten Tag, als eine kleine Gruppe zu einer nahe gelegenen Filiale der Bank of America marschierte, um davor Slogans zu skandieren, nahm man zwei von ihnen ihrer Halstücher wegen fest, und das auf der Basis eines obskuren Vermummungsverbots aus dem 18. Jahrhundert, das das koloniale New York vor irischen Straßenräubern hatte schützen sollen. Der Umstand, dass keiner der Demonstranten sein Halstuch als Maske trug und die Festnahmen eindeutig widerrechtlich erfolgten, war irrelevant – oder, je nach Standpunkt, Sinn der ganzen Übung. Am nächsten Tag setzte die Polizei eins drauf, indem sie zwei Besetzer dafür verhaftete, dass sie mit Kreide Parolen auf den Gehsteig schrieben. Als Passanten darauf hinwiesen, dass es in New York nicht verboten sei, mit Kreide auf den Gehsteig zu schreiben, sagte der Beamte, der die Verhaftung vornahm: »Ja, ich weiß.«
Im Park hielten sich weiterhin tagsüber Tausende auf und blieben Hunderte über Nacht. Es begann sich eine regelrechte Gemeinde herauszubilden – mit Bücherei, Küche, kostenloser medizinischer Versorgung, Livestream-Videoteams, Unterhaltungausschüssen, Sanitärkommandos … Binnen Kurzem gab es 32 verschiedene Arbeitsgruppen, von einer Gruppe für Alternative Währung bis hin zu einem Ausschuss für Spanischsprachige. Vollversammlungen fanden jeden Tag um drei Uhr nachmittags statt. Und überaus bemerkenswert: Obwohl die Mainstreammedien das Phänomen fast durch die Bank ignorierten, begannen überall in Amerika ähnliche Camps zu entstehen; auch sie hielten Vollversammlungenab und versuchten sich an Handzeichen und anderen Werkzeugen einer auf Konsens begründeten Demokratie. Binnen einer Woche waren es 100, binnen eines Monats angeblich 600: Occupy Portland, Occupy Tuscaloosa, Occupy New Haven, Occupy Cincinnati, Occupy Montreal. 1
Die Besetzer gingen bewusst gewaltfrei zu Werke. Zunächst umfassten ihre Aktionen, abgesehen von den Lagern selbst, kaum mehr als Demonstrationszüge – obwohl daraus im Falle der berühmten Blockade der Brooklyn Bridge am 1. Oktober 2011 (ganz entschiedener) ziviler Ungehorsam wurde. Die New Yorker Polizei jedoch reagierte in gewohnter Weise auf alles mit Härte. Wir hatten das vorausgesehen: Gewaltfreie Demonstranten müssen, in New York wie in den meisten anderen amerikanischen Städten, selbst bei legalen (aber ungenehmigten) Aktionen mit physischen Übergriffen rechnen. Neu war in diesem Fall, dass tatsächlich einige
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