Inside Occupy
darauf, indem sie ihnen mithilfe von Wattebäuschchen konzentrierten Cayennepfeffer in die Augen rieb, womit sie ihnen absichtsvoll große Schmerzen zufügte. Anscheinend genügten aber noch nicht einmal Ermordung und Folter von Pazifisten, um die amerikanischen Medien vom unangemessenen Vorgehen ihrer Polizei zu überzeugen. Auch die Amtsgerichte vor Ort erklärten sich mit dem Vorgehen der Polizei einverstanden und die Anwendung von Pfefferspray auf Augäpfel für akzeptabel. Als dann ein Jahr darauf die Veteranen dieser Kampagnen mitbekamen, dass ihre Gesinnungsgenossen in Seattle planten, sich anzuketten, um den WTO-Gipfel zu blockieren, sprachen sie die Warnung aus, die Polizei würde umstandslos angreifen und die Angeketteten foltern – und das alles mit Billigung der Medien. Und genau dazu kam es dann auch. Einige von den Waldschützern spielten dann eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des berühmten »Black Bloc« oder »Schwarzen Blocks«, der nach den vorhersehbaren Übergriffen zurückschlug, indem er in einer kalkulierten Kampagne Konzernen die Fenster einzuwerfen begann. Diese Aktion wiederum diente den Medien auf der Stelle zur Rechtfertigung von Übergriffen der Polizei gegen gewaltfreie Aktivisten mit Schlagstöcken, Tränengas, Gummigeschossen und Pfefferspray. Begonnen hatten diese Übergriffe freilich bereits am Tag zuvor.
So weit die Situation, mit der wir uns schon vor den Attentaten des 11. September 2001 konfrontiert sahen. Danach begann die Gewalt der Polizei gegen gewaltfreie Demonstranten noch weit systematischer und brutaler zu werden. Nichtsdestoweniger entschieden wir uns für Gandhis Ansatz. Und diesmal – nicht zuletzt dank des berüchtigten Pfefferspray-Zwischenfalls vom 24. September am Union Square – funktionierte es. Über die Fernsehschirme der Nation flimmerten, wie bereits erwähnt, Bilder von Tony Bologna, einem notorisch gewalttätigen Polizisten, der die Straße heraufkommt und ganz beiläufig zwei hinter einer provisori schen Absperrung eingepferchte junge Frauen mit Pfefferspray überfällt, zwei Frauen, die ganz offensichtlich für niemanden eine Gefahr darstellten. Konventioneller Weisheit nach lag die Verbreitung dieser Bilder an den sozialen Medien. Obwohl sich auch schon die Aktivisten von Seattle ausgiebig der Guerilla-Berichterstattung im Web bedient hatten, sorgte2011 die Allgegenwart von Handykameras, Twitter-Accounts, Facebook und YouTube dafür, dass derlei Bilder weltweit millionenfach angesehen wurden. Nur erklärt das immer noch nicht, weshalb die Mainstreammedien sich dieses Mal nicht durchweg auf ihre übliche Rolle beschränkten, den offiziellen Standpunkt – also den der Polizei – als den einzig legiti men hinauszuposaunen.
Ich halte hier den internationalen Kontext für einen entscheidenden Faktor. Eine weitere Wirkung des Internets ist nämlich die, dass es den USA viel von ihrem Inselcharakter genommen hat. Die internationale Berichterstattung über die Proteste hatte vom ersten Augenblick an ganz anders ausgesehen. Nirgendwo auch nur der Versuch, die Demonstranten zu ignorieren, abzutun, zu verteufeln. In der englischsprachigen Welt begann zum Beispiel der
Guardian
fast vom ersten Tag an, detailliert über Vorgeschichte und Hoffnungen der Besetzer zu berichten. Rasch traten auch Reporter von Al-Dschasira auf den Plan, dem arabischen Nachrichtensender mit Sitz in Doha, Katar, der eine so entscheidende Rolle beim arabischen Frühling gespielt hatte – insbesondere durch die Ausstrahlung von Videos und anderen Belegen für obrigkeitliche Gewaltanwendung, die über Basisaktivisten in die sozialen Medien gekommen waren. Die Al-Dschasira-Reporter begannen in New York dieselbe Rolle zu spielen wie in Damaskus und Kairo. Das führte dazu, dass praktisch die Zeitungen der ganzen Welt einschlägige Meldungen der Nachrichtendienste brachten – außer denen in den USA. Diese wiederum inspirierten nicht nur ähnliche Besetzungen in entfernten Winkeln wie dem brasilianischen Bundesstaat Bahia und der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal. Sie sorgten ganz unvermutet auch für Sympathiebekundungen aus Ländern wie China. Diese Bekundungen waren alles andere als vom Staat organisiert, sie stammten von linkspopulistischen Gruppen, Gegnern einer offiziellen Übernahme Wall-Street-freundlicher Grundsätze im eigenen Land. Erfahren hatten sie von den Ereignissen über die Seiten der ausländischen Nachrichtendienste im Web.
Am Tag der Schlacht um die
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