Inside Occupy
Medienleute, zunächst größtenteils nur bei den Kabelsendern, Notiz zu nehmen und die Ereignisse zu dramatisieren begannen. Was zum Teil daran lag, dass es einige der Videos im Internet auf unglaubliche Zuschauerzahlen brachten: So wurde etwa Tony Bologna – der Polizist, der Ende September 2011 mit Pfefferspray im Vorübergehen auf zwei junge, hinter einer Absperrung eingepferchte Frauen losgegangen war – im Handumdrehen landauf, landab ein Begriff. Aber in der Vergangenheit hätte selbst das kaum eine Rolle gespielt. Diesmal führte es zur Unterstützung durch die Gewerkschaften, und die Kundgebungen wuchsen von Mal zu Mal. Tausende aus allen Teilen Amerikas begannen Geldspenden – und einen schier unvorstellbaren Berg Pizzas – zu schicken. Die gesellschaftliche Bandbreite der Besetzer weitete sich aus. War die Menge in den ersten Tagen fast blütenweiß gewesen, begann sie bald bunter zu werden, zu den Teenagern in Dreadlocks gesellten sich afroamerikanische Rentner und Latino-Veteranen, die in Afghanistan oder im Irak gewesen waren. Darüber hinaus kam erstaunlich viel Unterstützung von gewöhnlichen New Yorkern, die zu Tausenden vorbeischauten, und sei es nur aus Neugier. Einer Umfrage zufolge war nicht nur eine Mehrheit einer Meinung mit den Demonstranten, 86 Prozent stellten sich hinter deren Recht auf das Camp.
Die Berichterstattung
1. Frage:
Warum hat sich die Berichterstattung der amerikanischen Medien über OWS so sehr von der über praktisch alle linken Protestbewegungen seit den 60er Jahren unterschieden?
Es wurde viel diskutiert darüber, weshalb die nationalen Medien Occupy Wall Street (OWS) so anders behandelten als die Protestbewegungen der Vergangenheit – eigentlich als fast alle seit den 60er Jahren. Lag das an den sogenannten »sozialen Medien«, an Facebook und Twitter? Lag das daran, dass die übermäßige Aufmerksamkeit ausgeglichen werden sollte, die der doch relativ kleinen Anhängerschaft der Tea Party zuteil wurde? Mag sein, aber der wahre Grund, so scheint mir, liegt darin, dass die amerikanischen Medien nicht mehr in völliger Isolation existieren.
Allerdings reagierten sie zunächst auf Occupy nicht weniger wegwerfend und ignorant als 1999 auf die »Anti-Globalisierungs-Bewegung«, wie man es nannte: ein Haufen junger Wirrköpfe ohne klare Vorstellung davon, worum es ihnen eigentlich ging. Die
New York Times
zum Beispiel, die sich doch immerhin ihres Rufes rühmt, schrieb die ersten fünf Tage nicht ein einziges Wort über die Besetzung und brachte dann am sechsten einen als Nachricht kaschierten Leitartikel im Metropolitan-Teil mit dem Titel »Gunning for Wall Street, With Faulty Aim« 2 der Redakteurin Ginia Bellafante; sie verspottete die Bewegung als bloße Pantomime des Progressivismus ohne erkennbares Ziel.
Dazu kommt, dass womöglich zum ersten Mal seit der Bürgerrechtsbewegung der 50er Jahre Gandhis Taktiken in Amerika tatsächlich funktionierten. Gewaltlosigkeit im Sinne Gandhis hängt wesentlich von einem gewissen Wohlwollen seitens der Medien ab. Das hat damit zu tun, dass demonstrative Gewaltlosigkeit für einen scharfen moralischen Kontrast sorgen und die einer politischen Ordnung inhärente Gewalt aufzeigen soll. Die »Kräfte der Ordnung«, so wollen ihre Verfechter zeigen, werden nie auch nur einen Augenblick zögern, zur Wahrung des Status quo Gewalt anzuwenden – auch nicht einem Häuflein Idealisten gegenüber, die niemandem etwas tun. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sich herumspricht, was da passiert. Und genau deshalb sind Gandhis Taktiken in den USA in der Vergangenheit praktisch zwangsläufig erfolglos verpufft. Hier nämlich weigern sich die Mainstreammedien seit den 60er Jahren sozusagen systematisch, über irgendeinen Protest auf eine Art zu berichten, die auch nur implizieren könnte, die amerikanische Polizei wende »Gewalt« an – egal, was sie tut.
Ein flagrantes Beispiel etwa war die Behandlung von Baumbesetzern und ihren Verbündeten bei ihren Aktionen zum Schutz alter Wälder im amerikanischen Nordwesten in den 90er Jahren. 3 Aktivisten versuchten es mit einer Kampagne klassischer Gewaltfreiheit im Sinne Gandhis: Sie kletterten in Baumkronen und setzten sich dort fest, sie ketteten sich an Maschinen und Straßenschranken. Als einer der Baumbesetzer umkam und die Polizei vor Ort keine Mordermittlungen einleiten wollte, blockierten Aktivisten das Areal, um die Vernichtung von Beweismitteln zu verhindern. Die Polizei reagierte
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