Inside Occupy
fallen etwa Patente) zu ignorieren.
Wir sollten jetzt nicht so tun, als ob die USA überhaupt kein Produktionsstandort mehr wären. Sie sind immer noch unübertroffen bei Landmaschinen, in medizinischer und Informationstechnologie und vor allem bei der Produktion von Hightech-Waffen. Aber dieser verbliebene Produktionssektor generiert keine nennenswerten Profite mehr. Stattdessen hängen Reichtum und Macht des einen Prozent mittlerweile zunehmend von einem Finanzsystem ab, das seinerseits wiederum von der amerikanischen Militärmacht im Ausland und zu Hause von der Macht der Gerichte abhängig ist (und damit im weiteren Sinne auch von Wiederinbesitznahme-Agenturen, Sheriffs, der Polizei).
Ist dieses System auf lange Sicht lebensfähig? Ganz offensichtlich nicht. Kein Imperium währt ewig, und das US-Imperium gerät in jüngster Zeit – wie selbst seine eigenen Verteidiger mittlerweile einräumen – zunehmend unter beträchtlichen Druck.
Ein deutliches Zeichen ist das Ende der »Schuldenkrise der Dritten Welt«. Etwa ein Vierteljahrhundert lang haben die USA und ihre europäischen Verbündeten über globale Agenturen wie den Internationalen Währungsfonds die endlosen Finanzkrisen der ärmeren Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika ausgenutzt, um der Dritten Welt die Doktrin des »freien Markts« einzubläuen. Folge davon war ausnahmslos das Streichen von Sozialleistungen, die Umlegung des Reichtums auf ein Prozent der Bevölkerung und, natürlich, die Öffnung der Wirtschaft für die »Finanzdienstleistungs«-Industrie. Diese Tage sind vorbei. Die Dritte Welt wehrte sich; ein globaler Volksaufstand (von den Medien als »Antiglobalisierungsbewegung« bezeichnet) wirbelte solchen Staub um diese Politik auf, dass Ostasien und Lateinamerika den IWF bis 2002 oder 2003 effektiv hinausgeworfen hatten und der Währungsfonds 2005 selbst am Rande des Bankrotts stand. Die Finanzkrise von 2007 und 2008, die – wahrscheinlich nicht zufällig – gerade in der Situation ausbrach, als das amerikanische Militär peinlicherweise im Irak und in Afghanistan nicht mehr weiterkam, hat zum ersten Mal zu einer ernsthaften internationalen Diskussion darüber geführt, ob der Dollar internationale Reservewährung bleiben sollte. Gleichzeitig findet die vermeintliche Gesundbetungsfor mel , die man einst auf die Dritte Welt angewandt hatte, nun auch zu Hause Anwendung, von Irland und Griechenland bis Wisconsin und Baltimore. Resultat ist eine Welle demokratischer Erhebungen, die ihren Anfang in den amerikanischen Satellitenstaaten des Nahen Ostens genommen undsich dann rasch nach Norden über den Mittelmeerraum und Nordamerika ausgebreitet hat.
Das Bemerkenswerte ist: Je näher die Welle dem Zentrum der Macht kam, dem »Herzen des weltweiten Finanzimperiums«, wie unsere chinesischen Freunde es nannten, desto radikaler wurden die Forderungen. Die arabische Revolte setzte sich aus allen möglichen Gruppierungen zusammen, von marxistischen Gewerkschaftern bis hin zu konservativen Theologen, aber ihr Kern war das liberale Verlangen nach einer säkularen, konstitutionellen Republik, die freie Wahlen zulässt und die Menschenrechte respektiert. Die Besetzer in Griechenland, Spanien und Israel waren – bei allen Unterschieden in ihrer Radikalität – eher geflissentlich antiideologisch. Sie bestanden darauf, sich auf ganz bestimmte Probleme wie Korruption und staatliche Rechenschaftspflicht zu konzentrieren, und kamen damit über das ganze politische Spektrum hinweg an. In den USA dann hatten wir eine von Revolutionären losgetretene Bewegung, die mit einer direkten Kampfansage an das Wesen des Wirtschaftssystems begann.
Teils kommt das einfach daher, dass die Amerikaner nun wirklich niemanden außer sich selbst verantwortlich machen können. Falls, wie ich in meinem ersten Artikel für den
Guardian
schrieb, das, was wir da gerade erleben, »die Eröffnungssalve einer Welle von Verhandlungen über die Auflösung des amerikanischen Imperiums« ist, können Ägypter, Tu nesier , Spanier oder Griechen die politischen und ökonomischen Arrangements, unter denen sie leben – ob von den USA gestützte Diktaturen oder ganz und gar der Herrschaft von Finanzkapital und Marktorthodoxie unterworfene Regierungen –, als etwas von außen Auferlegtes sehen, das sich demnach möglicherweise ohne radikale Veränderung der Gesellschaft selbst abschütteln lässt. Amerikaner haben diesen Luxus nicht. Als Nation haben wir das allein uns selbst zu
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