Inside Occupy
mit der Wimper zu zucken, er sei gekommen, weil der »CEO einer großen Bank« ihn angerufen und gebeten hätte, doch mal nachzusehen, ob die Proteste sich auf seine »persönliche Sicherheit« auswirken könnten. 20 Bemerkenswert daran ist nicht, dass solche Verbindungen existieren, sondern dass nicht eine der beteiligten Parteien auch nur auf den Gedanken zu kommen scheint, so etwas vielleicht besser für sich zu behalten.
Ähnlich verhält es sich mit den Sozial- und Geisteswissenschaften. Die waren noch nie objektiv. Der Motor hinter den Zielen der Forschung war schon immer das Geld verschiedenster staatlicher Einrichtungen oder reicher Philanthropen, die zumindest ganz bestimmte Vorstellungen davon haben, welche Richtung die Fragestellung zu nehmen habe, und für gewöhnlich auch davon, was für Antworten tunlichst gefunden werden sollten. Mit dem Aufkommen der Denkfabriken in den 70er Jahren jedoch wurde es in den wirklich relevanten Disziplinen (hauptsächlich in den Wirtschaftswissenschaften) völlig normal, sich nur zur Rechtfertigung eines vorgefassten Standpunktes engagiert zu sehen. Ich erinnere mich noch, mit welcher Bestürzung ich während Reagans Amtszeit Wortwechsel wie den folgenden im Fernsehen sah:
Regierungsvertreter
: Unsere oberste Priorität ist der Beschluss einer Senkung der Kapitalertragssteuer zur Stimulierung der Wirtschaft.
Interviewer:
Aber was würden Sie zu einer ganzen Reihe jüngster ökonomischer Studien sagen, nach denen diese Art von Trickle-down-Ökonomie nicht wirklich funktioniert? Dass sie die Wohlhabenden keineswegs dazu stimuliert, mehr Leute einzustellen?
Regierungsvertreter:
Nun, das ist richtig, die wahren Gründe für die wirtschaftlichen Vorteile von Steuersenkungen müssen wir erst noch richtig verstehen …
Anders gesagt, die Wirtschaftswissenschaften als akademische Disziplin existieren nicht, um eine optimale Politik ermöglichen zu helfen. Die Politik selbst ist bereits beschlossene Sache. Ökonomen sind lediglich dazu da, sich wissenschaftlich klingende Gründe für das einfallen zu lassen, was zu tun sich die Regierungsbürokratie bereits entschlossen hat. Aber noch einmal: Was daran wirklich neu ist, das ist die allgemein zunehmende Bereitschaft, so etwas tatsächlich einzugestehen.
Unter anderem erschwert das die politische Debatte, weil zwei Leute, die konträre Standpunkte vertreten, tendenziell in verschiedenen Realitäten zu Hause sind. Wenn die Linken darauf beharren, Probleme wie denZusammenhang von Armut und Rassismus in Amerika zu diskutieren, brauchten sie weniger damit zu rechnen, dass ihre Kontrahenten sich ein Gegenargument einfallen lassen (etwa dass und warum die Opfer an ihrer Lage selber schuld seien), als mit der schlichten Behauptung, dass es so etwas wie Armut und Rassismus gar nicht mehr gibt. Und dasselbe passiert auch andersherum. Wenn die christliche Rechte die Macht von Amerikas säkularer »kultureller« Elite zu diskutieren versucht, beharrt die Linke in der Regel darauf, dass es die gar nicht gibt; wenn die libertäre Rechte das Problem der (ausgesprochen realen) historischen Verbindungen zwischen Amerikas Militarismus und der Politik seiner Notenbank problematisieren möchte, tun ihre gemäßigten Gesprächspartner sie regelmäßig als Verschwörungstheoretiker ab.
In Amerika benutzt man heute die Etiketten »rechts« und »links« gemeinhin für Republikaner und Demokraten, zwei Parteien, die im Prinzip zwei Fraktionen innerhalb des einen Prozent – oder, will man wirklich großzügig sein, der oberen zwei bis drei Prozent – der amerikanischen Bevölkerung repräsentieren. Wall Street, die beide in der Tasche hat, scheint entsprechend zwischen den beiden aufgeteilt zu sein. Die Republikaner repräsentieren die Masse der CEOs, vor allem in den Sektoren Militär und Energie, und praktisch alle Geschäftsleute mittleren Rangs; die Demokraten repräsentieren, was Barbara Ehrenreich einmal als »akademisch-geschäftsführende Klasse« bezeichnet hat, die wohlhabendsten unter den Anwälten, Ärzten, Administratoren und so gut wie alle Bannerträger in der Unterhaltungsindustrie und der akademischen Welt. Auf jeden Fall kommt von diesen das Geld für beide Parteien – Parteien, die zunehmend auch nichts anderes mehr tun, als Geld einzusammeln und auszugeben. Faszinierend ist, dass in den letzten dreißig Jahren der Finanzialisierung des Kapitalismus jede dieser Kernwählerschaften ihre eigene Theorie darüber entwickelt hat,
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