Inside Occupy
weshalb die Verhältnisse so sind, wie sie sein sollten, da für sie außer Geld und Macht nichts wirklich existiert.
Nehmen Sie folgendes berüchtigte Zitat von einem Berater der Regierung Bush kurz nach der Invasion im Irak. Der Reporter der
New York Times
musste sich vorhalten lassen:
»Der Berater sagte, Typen wie ich lebten ›in dem, was wir die realitätsbasierte Community nennen‹, die er als Leute definierte, ›die glauben, dass Lösungen aus dem umsichtigen Studium einer erkennbaren Realität erwachsen‹. … Und er fuhr fort: ›So funktioniert die Welt aber nicht mehr. Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität.‹« 21
Solche Bemerkungen mögen sich wie schieres Maulheldentum ausnehmen. Aber man sollte immerhin zur Kenntnis nehmen, wie bedenkenlosan der Spitze unseres Machtapparates Begriffe wie »Imperium« verwendet werden. Und in Wirklichkeit geht es hier um eine ausgefeilte Theologie. Seit den 80er Jahren hatten die Leute der christlichen Rechten – die den Kern von George W. Bushs innerem Kreis ausmachten – aus der »angebotsorientierten Wirtschaftspolitik«, wie man das damals nannte, buchstäblich ein religiöses Prinzip gemacht. Die Verkörperung dieser Denkrichtung schlechthin war George Gilder 22 , dessen Argumentation zufolge die Politik der US-Notenbank, Geld zu schöpfen und direkt an die Unternehmer weiterzuleiten, damit diese ihre kreativen Visionen verwirklichen konnten, eigentlich nichts weiter war als eine maßstabgetreue menschliche Neuinszenierung von Gottes ursprünglichem Schöpfungsakt der Welt aus dem Nichts. Aufgegriffen wurde diese Sichtweise von vielen Fernsehevangelisten wie etwa Pat Robertson, der die angebotsorientierte Wirtschaftstheorie »die erste wahrhaft göttliche Theorie der Geldschöpfung« nannte.
Die Kirche der Liberalen ist natürlich die Universität, wo Philosophen und »radikale« Gesellschaftstheoretiker den Platz der Theologen einnehmen. Das mag sich wie eine ganz andere Welt ausnehmen, aber die politischen Visionen, die etwa zur selben Zeit unter der akademischen Linken Gestalt annahmen, ähnelten der von rechts auf beunruhigende Weise. Man muss sich nur den erstaunlichen Aufstieg des französischen poststrukturalistischen Theoretikers Michel Foucault in den Achtzigern vergegenwärtigen und insbesondere seine Behauptung, Formen institutionellen Wissens – Medizin, Psychologie, aber auch die Verwaltungs- oder Politikwissenschaften, Kriminologie und Biochemie – seien auch immer Formen von Macht, die letztendlich die Realitäten schaffen, die sie zu beschreiben behaupten. Was natürlich fast haargenau das Gleiche ist, nur eben aus der Perspektive der akademisch-administrativen Klasse, die den Kern der liberalen Elite ausmacht. Inzwischen verschmolz während des Höhepunkts der Luftblasenwirtschaft der 90er Jahre ein endloser Strom neuer radikaler theoretischer Ansätze – Performanztheorie, Akteur-Netzwerk-Theorie, Theorien immaterieller Arbeit – zu dem gemeinsamen Postulat, die Realität sei jeweils das, von dem man andere überzeugen könne. 23
Von der Perspektive der unteren 99 Prozent aus gesehen, denen kaum etwas anderes übrig bleibt, als in Realitäten der einen oder anderen Art zu leben, mag sich all das wie Zynismus ausnehmen – Zynismus auf einem geradezu mystischen Niveau. Aber alles, was wir hier wirklich sehen, ist die notorische Tendenz der Mächtigen, ihre eigenen speziellen Erfahrungen und Perspektiven mit dem Wesen der Realität selbst zu verwechseln. Immerhin vermag aus der Perspektive eines CEO Geld wirklich Dinge ins Leben zu rufen, und aus der Perspektive eines Hollywood-Produzentenoder Klinikverwalters ist die Beziehung zwischen Wissen, Macht und Leistung wirklich alles, was existiert.
Das offensichtliche Problem dabei ist, dass das Prinzip der Bestechung eben nur bis an einen bestimmten Punkt getrieben werden kann. Man bedenke, dass die Bestechung der Arbeiterklasse, zum Beispiel durch Umverteilung eines beträchtlichen Teils all des neu geschaffen Reichtums nach unten – wie das von den 40er bis in die 70er Jahre üblich war –, genau das ist, wozu die Kernwählerschaften beider Parteien nicht länger bereit sind. Statt dessen scheinen beide Parteien ihre Aktivisten-»Basis« um eine Reihe von Wählerschaften mobilisiert zu haben, deren höchste Aspirationen sie nicht wirklich realisieren wollen: konservative Christen zum Beispiel, die nie erleben werden, dass man die
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