Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
habe nur meinen Beitrag geleistet zur Belebung des Tourismus, damit sich die New Yorker nicht so fremd fühlen -, es war irgendwie aufregend gewesen, in den Häusern dieser Leute tun zu können, was man wollte. Alles kurz und klein zu schlagen und zu sehen, daß sie zu schwach waren, um sich zu wehren. Nicht daß er ein Schlägertyp war; er hätte sich nie vergriffen an so einem alten Weib (allerdings mehr aus Ekel denn aus Mitleid). Solche Sachen waren Micks Spezialität. Mick war eben ein Schläger.
Diese neue Geschichte, das war was anderes. Die Häuser von den Alten hatten alle nach Vergangenheit gerochen, nach Lavendelwasser, Wiek VapoRub, nach vollgestopften Kommoden und toter alter Haut. Was jetzt auf sie wartete, waren richtige Klasse-Hütten, mit Videorekordern, tollen Stereoanlagen, Geschirrspülautomaten und Tiefkühltruhen, randvoll mit ganzen Ochsen. Sie konnten sich Zeit lassen, sich an den Sachen freuen und hier und da mal was kaputtschlagen. Schließlich konnte man ja nicht alles wegschleppen. Am besten hielt man sich an die tragbaren Sachen - Bargeld, Schmuck, Silber und Gold. Mick und Lenny waren wahrscheinlich blöd genug, sich die Farbfernseher und die Videos zu schnappen und sie auf dem Markt von Eastvale anzubieten. Dabei hatte heutzutage jeder Scheißer einen von diesen Ultraviolett-Stiften, mit dem er seinen Namen und seine Postleitzahl auf allem möglichen verewigen konnte, von der Mikrowelle bis zur Waschmaschine, und die Cops brauchten das dann nur mit einer Speziallampe abzulesen. Hoffentlich lag Mick wenigstens bei den Alarmanlagen nicht falsch. Allem Anschein wurden die Leute neuerdings immer sicherheitsbewußter.
Er überquerte den Südzipfel des ausgestorben daliegenden Marktplatzes und arbeitete sich durch eine Ansammlung enger, verwinkelter Gassen bis zur King Street vor. Dort nahm er die Abkürzung über die Leaview-Siedlung zur Gallows View. Die terrassenförmig angelegte Reihe alter Cottages wirkte wie ein knotiger Finger, der nach Westen zu den Dales wies.
Während er die Bungalows passierte und über den Cardigan Drive auf die schmutzige Straße vor den Cottages einschwenkte, bemerkte er vor der Nummer zwei seltsame Aktivitäten. Es war gleich das erste Haus, in dem diese Madock wohnte, die alte Schlampe. Langsam schlenderte er an der Vorderfront entlang und sah im Vorbeigehen eine ganze Ansammlung von Leuten in der offenen Haustür. Dieser Superbulle aus London war auch dabei, dieser Banks. Hatte vor ein paar Monaten hier den Laden übernommen und dick in der Zeitung gestanden, mit Foto. Hatchley, der alte Brutalo, stand daneben und guckte etwas wackelig auf seine Stelzen. Und dann diese Frau, direkt auf der Türschwelle. Was trieb die denn hier? Sie war es, ganz genau, das mußte sie sein. Die aus der superschicken Altbauhütte gegenüber von der East Side, gleich auf der anderen Seite vom Grüngürtel, die Tante, die Mick immer ficken wollte. War womöglich auch 'n Bulle, man wußte ja nie, heutzutage.
Inzwischen war er bei Nummer acht angelangt, um seinem Vater wieder einmal erklären zu dürfen, warum er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte.
* 2
Entgegen Banks' Anordnung hatte Jenny ihren Wagen verlassen, um von der Türschwelle aus unbemerkt das Geschehen zu verfolgen. Sie hatte noch nie eine Leiche gesehen, und diese hier sah besonders schlimm aus. Das runzlige, bläulich-graue Gesicht war zu einer Maske aus Zorn und Schmerz erstarrt, dunkelrote Lachen von Blut waren unter dem Schädel ausgetreten und hatten sich über den Bodenfliesen verteilt. Alice Matlock lag auf dem Rücken am Fuß eines Tisches und hatte sich offenbar bei einem Sturz nach hinten an dessen Kante den Schädel aufgeschlagen. Dieser erste Eindruck mochte täuschen, überlegte Jenny, aber schließlich wimmelte hier eine ganze Batterie von Experten herum, es war ein ständiges Kommen und Gehen, und am Ende würden diese Leute zweifellos den wirklichen Tathergang aus den Spuren ablesen können.
Obwohl die Szene etwas Schauerliches hatte, fühlte sich Jenny merkwürdig losgelöst und nahm die Eindrücke in sich auf wie ein unbeteiligter, rein sachlicher Beobachter. Wahrscheinlich war es dieses besondere Talent, das sie zu einer guten Psychologin machte: die Fähigkeit, sich aus der Flut menschlicher Emotionen ausklammern und die Dinge nüchtern beobachten zu können. Draußen zu stehen und ins Innere zu schauen. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie als Frau nicht
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