Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
erwachsen und wird schon damit fertig werden.»
«Du hast sie also noch gar nicht gesehen?»
«Nein, bislang hat er mich ihr noch nicht vorgestellt.»
«Vielleicht», meinte Harriet, lehnte sich vor und senkte ihre Stimme, «vielleicht solltest du ihn dazu bringen, daß er sie zum Abendessen mitbringt. Oder du schlägst vor, daß ihr euch mal auf einen Drink trefft. Dann wirst du ja sehen, wie er reagiert.»
«Eine gute Idee», strahlte Sandra. «Das wird sicher sehr amüsant. Ja, ich denke, das sollte ich einmal anregen. Ich bin gespannt, wie er reagieren wird.»
* 2
Police Constable Craig war einer der uniformierten Männer, die man vorübergehend in Zivil gesteckt und für den Voyeur-Fall abgestellt hatte. Seine Aufgabe bestand darin, möglichst viele Pubs in einem festgelegten Radius zu beobachten und sich nach Leuten umzusehen, die ohne ersichtlichen Grund in deren Nähe herumlungerten. Es war eine ermüdende und frustrierende Tätigkeit, da er die Lokale nicht betreten durfte, sondern einfach immer wieder an ihnen vorbei durch die Straßen ziehen und sehen mußte, ob sich irgendwo irgendwer unverhältnismäßig lange herumtrieb.
Als er gegen Ende seiner Schicht zum zweitenmal an diesem Abend in die Nähe des Oak kam, bemerkte er, daß im Dunkel der Bushaltestelle der gleiche Mann wartete, den er bereits auf seinem ersten Rundgang gesehen hatte. Nach den wenigen Details, die er im Schatten des Unterstandes ausmachen konnte, war der Mann schlank und mittelgroß, trug einen dunklen Regenmantel mit Gürtel und eine flache Mütze. Es war offensichtlich kein Filzhut, aber schließlich gab es kein Gesetz, das einem Mann verbot, sich mehrere Kopfbedeckungen zuzulegen. Darüber hinaus wußte Craig, daß mindestens zwei Busse hier gehalten hatten, seit er das letzte Mal am Oak vorbeigekommen war.
Wie verabredet, betrat er den lärmenden Pub und hielt Ausschau nach DC Richmond, der - Pflicht hin, Pflicht her - inzwischen tödlich gelangweilt war, jeden Abend in diesem lauten, grellen GinPalast zubringen zu müssen. Richmond hörte sich Craigs Bericht an und schlug vor, zunächst das Revier zu informieren und in fünfzehn Minuten noch einmal draußen nachzusehen. Wenn der Mann nach Ablauf dieser Zeit immer noch da war, würde man zu ihm gehen und ihn befragen. Erleichtert ließ sich Craig ein halbes Guinness bestellen und nahm die Chance wahr, sich für eine Weile hinzusetzen und die strapazierten Füße zu entlasten.
Unterdessen schaute Mr. Patel - in dem das Jagdfieber erwacht war, seit ihn Banks besucht hatte - in kurzen Zeitabständen aus seinem Ladenfenster und notierte in einem eigens zu diesem Zweck erworbenen Merkheft, daß ein Mann mit dem Aussehen der bereits von ihm beschriebenen verdächtigen Person sich seit achtundvierzig Minuten in dem Unterstand der Bushaltestelle aufhielt. Er terminierte seinen Eintrag auf «Dienstag, 21 Uhr 56», wählte die Telefonnummer der Polizei und verlangte nach Detective Chief Inspector Banks.
Banks war im ersten Moment nicht besonders glücklich über die Nachricht, da er gerade einen friedlichen Abend mit den Kindern verbrachte - ohne Oper, ohne Fernsehen - und Brian dabei half, eine komplizierte Streckenerweiterung für seine elektrische Modelleisenbahn zu bauen, während Tracy ausgestreckt auf dem Bauch lag und anordnete, wo die Brücken, die Signallampen und die Bergketten aus Pappmache zu plazieren waren. Beim Klingeln des Telefons zogen alle drei ein Gesicht, doch als Banks hörte, was ihm Sergeant Rowe von Mr. Patel mitzuteilen hatte, war er schlagartig hellwach.
Die fünfzehn Minuten Wartezeit im Oak waren inzwischen verstrichen. Richmond hatte, wie vereinbart, das Revier benachrichtigt, und nun war es an der Zeit, sich zu dem Verdächtigen zu begeben und ihm ein paar Fragen zu stellen. Während sich die beiden Beamten zu den schweren, rauchglasverzierten Eingangstüren vorarbeiteten, war Banks bereits bei Mr. Patel eingetroffen und betrat dessen Laden, beiläufig wie ein Kunde unter vielen.
«Ist er das?» fragte er.
«Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen», antwortete Mr. Patel und kratzte sich am Kopf, «aber er sieht genauso aus. Hat allerdings keinen Hut aufgehabt beim letzten Mal.»
«Wie lange, sagten Sie, ist er schon da?»
Mr. Patel schaute auf seine Uhr, dann in sein Notizbuch. «Dreiundsechzig Minuten», erklärte er, nachdem er seine kurze Rechenoperation abgeschlossen
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