Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
lassen sollen. Ich weiß nicht... im Grunde war ich ja bereit, sicher sogar, aber dann ist er plötzlich so anders geworden, irgendwie distanziert und in sich gekehrt. Als ob wir uns fremd geworden wären. Ich war auch dabei, mich zu verändern, zog durch die Pubs und sang meine Lieder, während Michael immerzu lernte und sich auf die Universität vorbereitete. Harry und Emma waren auch da, ziemlich lange sogar, und es war heiß, sehr heiß. Emma ging kaum vor die Tür, weil sie Angst hatte, sich einen Sonnenbrand zu holen, und Harry und ich waren meistens in Fortford, in diesem römischen Lager, das sie gerade ausgegraben hatten. Oder wir haben einfach Spaziergänge gemacht, stundenlange Spaziergänge in der prallen Sonne.»
«War Michael dabei?»
«Manchmal, aber das faszinierte ihn nicht besonders. Er hatte gerade die Wunder der Literatur entdeckt und nichts anderes im Kopf als Shelley, Keats, Wordsworth oder D. H. Lawrence. Ständig steckte er die Nase in irgendein Buch - wenn er nicht gerade versuchte, mir mit der Hand unter den Rock zu gehen.»
«Wahrscheinlich hat ihn Lawrence dazu inspiriert.»
Pennys Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Sie hob die Hand zur Stirn, strich sich die Haare aus dem Gesicht und meinte: «Möglich.»
«Und Mrs. Steadman?»
«Wie ich schon sagte - sie war nicht gerne in der Sonne. Manchmal kam sie mit, wenn wir mit dem Wagen unterwegs waren und sie sich unter den Sonnenschirm verkriechen konnte, während wir ein Picknick veranstalteten wie die Romanfiguren von jane Austen. Sie hatte kein besonderes Interesse an Ausgrabungen oder alten Sitten und Bräuchen. Möglicherweise war die Ehe nicht gerade ideal, keine Ahnung, jedenfalls hatten sie, weiß Gott, nicht sehr viel gemeinsam, aber sie kamen wohl ganz gut miteinander aus und gingen nie unfreundlich miteinander um, soweit ich weiß. Harry hätte einfach nicht heiraten sollen, wirklich nicht, er war zu sehr seiner Arbeit verhaftet. Und in meiner Erinnerung sehe ich uns meistens über das Moor streifen und die Kräuter und Blumen bestimmen.»
Banks überlegte, daß Steadman zu diesem Zeitpunkt etwa Anfang Dreißig gewesen war und Penny sechzehn. Die Altersdifferenz war demnach nicht zu groß gewesen, um eine körperliche Anziehung auszuschließen, im Gegenteil. Er hatte exakt das Alter gehabt, in welchem sich Männer zu jungen Mädchen hingezogen fühlen. Zudem war er zweifellos ein attraktiver Mann gewesen, bis zu seinem Ende, auf eine feine, durchgeistigte Art.
«Haben Sie denn nicht für ihn geschwärmt?» erkundigte er sich. «Das wäre doch eigentlich ganz natürlich gewesen.»
«Das kann sein, aber der springende Punkt ist doch - und das scheinen Sie einfach nicht begreifen zu wollen -, daß Harry einfach nicht der Typ war für so was. Wahrscheinlich war er nicht sexy in meinen Augen, sondern mehr so eine Art Onkel. Ich weiß, es fällt Ihnen schwer, das zu glauben, aber es ist einfach die Wahrheit.»
Mag sein, daß es mir am rechten Glauben fehlt, überlegte Banks, aber sicher nicht an Leuten, die alles versuchen, um mich zu überzeugen. «Halten Sie es für möglich, daß Michael diese Beziehung anders gesehen haben könnte?» gab er zu bedenken. «Als eine Bedrohung vielleicht, durch einen älteren, weitaus erfahreneren Mann. Könnte das der Grund gewesen sein für sein seltsames Verhalten?»
«Ich kann wirklich nicht sagen, daß ich jemals auf diese Idee gekommen wäre», entgegnete Penny.
Banks war nicht sicher, ob er ihr das abnehmen sollte oder nicht. Ihre häufigen Lügen und Ausflüchte bestätigten ihn eher in der Überzeugung, daß sie nicht nur eine gute Sängerin war, sondern auch eine höchst begabte Schauspielerin.
«Aber es wäre doch denkbar, oder?»
Sie nickte. «Möglich. Aber er hat nie etwas gesagt in dieser Richtung, und Sie denken doch sicher, daß er das eigentlich getan haben müßte, stimmt's?»
«Es gab also keinen Streit? Hat er Ihnen nie Vorwürfe gemacht, daß Sie ständig mit Harry unterwegs waren? Hat er nicht darauf bestanden, immer dabeizusein?»
Penny hatte bei jeder Frage den Kopf geschüttelt.
«Er war ziemlich linkisch und schüchtern», erklärte sie, «und hatte große Schwierigkeiten, seine Gefühle auszudrücken. Wenn er wirklich mißtrauisch gewesen sein sollte, hat er es jedenfalls für sich behalten und im stillen gelitten.»
Banks nahm einen Schluck von seinem Theakston's und
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