Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
mit vergoldetem Rahmen. In ihrem Bemühen, alle Gäste zu bedienen, war die Bardame in Schweiß geraten. Ihre Unterlippe und Stirn waren ganz feucht, aber sie schaffte es, die ganze Zeit ein Lächeln zu bewahren. Banks bestellte noch ein Pint.
Er konnte nicht genau sagen, wann es begonnen hatte, dass in London für ihn alles schief gelaufen war. Höchstwahrscheinlich war es eine ganze Reihe von Ereignissen über einen längeren Zeitraum gewesen. Aber wenn er zurückschaute, mündete irgendwie alles in ein großes Durcheinander: Brian geriet in der Schule in Raufereien, seine Ehe drohte in die Brüche zu gehen und Angstattacken hatten ihn zur der Überzeugung gebracht, dass er am Sterben war.
Aber am schlimmsten von allem war der Job gewesen. Langsam und schleichend hatte er sich verändert. Und Banks hatte bemerkt, dass er sich mit ihm veränderte. Immer mehr hatte er sich den brutalen Kriminellen angeglichen, mit denen er tagein, tagaus zu tun hatte; und immer weniger war er dazu in der Lage gewesen, das Gute im Menschen und Hoffnung für die Welt zu erkennen. Nackter Zorn und Zynismus waren sein Antrieb geworden, gelegentlich schlug er bei Verhören auf Verdächtige ein und trampelte auf ihren Rechten herum. Und das Widerwärtigste daran war, dass er genau damit beachtliche Resultate erzielte und sich einen Ruf als guter Polizeibeamter erwarb. Für seine Arbeit hatte er seine Menschlichkeit geopfert, und er fing an, sich selbst für das zu hassen, was er geworden war. Er war keinen Deut besser gewesen als Dirty Dick Burgess, ein Superintendent von der Hauptstadtpolizei, mit dem er kürzlich in Eastvale einen Kampf ausgefochten hatte.
Sein Leben hatte sich ohne Freude, ohne Liebe dahingezogen. Er war dabei, Sandra zu verlieren, und konnte nicht einmal mit ihr darüber sprechen. Er lebte in einer von Ratten bevölkerten Kloake, die um Fressen und Platz kämpften: ohne Luft, ohne Licht, ohne Fluchtweg. Er musste zugeben, dass der Umzug nach Norden eine Flucht gewesen war. Einfach ausgedrückt, er war davongelaufen, ehe es zu spät wurde.
Und zwar gerade noch rechtzeitig. Auch wenn in Eastvale nicht alles rosig gewesen war, so war es entschieden besser gewesen als diese letzten Monate in London, während denen er nichts anderes getan zu haben schien, als in stinkenden, heruntergekommen Slums vor Leichen zu stehen. Eine Frau, die von den Schamhaaren bis zum Brustbein aufgeschlitzt worden war und deren Eingeweide über den Teppich quollen; die verwesende Leiche eines Mannes, dessen Kopf abgehackt und zwischen seine Beine gelegt worden war. Diese Dinge hatte er gesehen, er hatte von ihnen geträumt und wusste, dass er sie nie würde vergessen können. Selbst in Eastvale erwachte er manchmal in kaltem Schweiß gebadet, wenn dieser Kopf versuchte, mit ihm zu sprechen.
Schnell leerte er sein Glas und ging hinaus, wo er seinen Mantelkragen gegen die Kälte hochschlug. Er war also wieder zurück, aber nicht, um hier zu bleiben. Er musste nie wieder hier bleiben. Also genieße es! Die Stadt wirkte lauter, überfüllter und dreckiger denn je, doch eine frische Brise wehte den Geruch gerösteter Kastanien von einem Straßenverkäufer in der Oxford Street herüber. Banks dachte an die gute alte Zeit, an die Suche nach alten, ledergebundenen Dickens-Ausgaben an Herbstnachmittagen entlang der Charing Cross Road; an die Besuche des Marktes an der Portobello Road an einem frischen, windigen Frühlingsmorgen; an das Dartspiel im Magpie und Stump mit Barney Merritt und seinen anderen Kollegen nach einem harten Tag im Zeugenstand; an die Familienausflüge nach Epping Forest an Sonntagnachmittagen; an die Drinks in Straßencafes hinter dem Leicester Square an warmen Sommerabenden, nachdem er mit Sandra im Kino gewesen war, während ein Babysitter auf die Kinder aufpasste. Nein, nicht alles war schlecht gewesen. Nicht einmal Soho. Selbst dieser Stadtteil hatte seine komischen Aspekte, sein Herz. Auf jeden Fall hatte es so ausgesehen, bevor alles schief gelaufen war. Doch jetzt fühlte er sich wieder wie ein Mensch. Er war der Kloake entkommen und ein kurzer Besuch wie dieser würde ihn nicht in die Gefahr bringen, wieder von ihr aufgesogen zu werden.
Zuerst rief er Barney Merritt an, einen alten Freund von Scotland Yard, um seine Übernachtungsmöglichkeit zu bestätigen. Nachdem das erledigt war, bestieg er die U-Bahn zum Oval. Als er in dem kleinen Abteil saß und die Anzeigen über den Fenstern las, musste
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