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Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn

Titel: Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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er an die zahllosen Untergrundreisen denken, die er gemacht hatte, weil er vermeiden wollte, in London mit dem Wagen zu fahren. Er erinnerte sich daran, wie er im Raucherwagen stand, eingeklemmt zwischen hundert oder mehr anderen Pendlern, die alle an ihren Haltegriffen hingen, versuchten, die Zeitung zu lesen, und vor sich hin pafften. Es war furchtbar gewesen, gehörte aber zum Ritual. Wie er es dabei geschafft hatte, zu atmen, war ihm jetzt noch schleierhaft. Heute durfte man auf den Bahnsteigen und Rolltreppen nicht mehr rauchen, geschweige denn in den Zügen.
      Er ging die Kennington Road hinunter und fand die Abzweigung, eine enge Straße mit dreistöckigen, in einzelne Wohnungen aufgeteilte Reihenhäuser mit Erkerfenstern auf jeder Etage. In Nummer dreiundzwanzig stand ein riesiger Kaktus am Fenster der mittleren Wohnung, im oberen konnte er irgendein Stofftier erkennen. Ihr Name stand über der obersten Klingel: R. Dünne. Kein Vorname, um Verrückte abzuhalten - dabei wussten doch alle Verrückten, dass nur Frauen ihre Vornamen wegließen. Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Banks drückte auf die Klingel und wartete. Ob sie da war? Was trieben Dichter den ganzen Tag? Starrten sie mit einem »wilden, verzückten Rollen in den Augen« in den Himmel?
      In dem Moment, wo er zu der Überzeugung gelangte, dass sie wohl nicht zu Hause war, hörte er Schritte in der Diele; dann öffnete sich die Tür, so weit es eine Vorhängekette erlaubte. Ein Gesicht - das Gesicht - starrte ihn durch den Schlitz an.
      »Ja?«
      Banks zeigte seinen Dienstausweis und erklärte ihr den Zweck seines Besuches. Sie schloss die Tür, schob die Kette aus dem Riegel und ließ ihn herein.
      Banks folgte der schmalen, knabenhaften Gestalt in türkisfarbenen Hosen und einem weiten orange Sweatshirt über die mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf ins oberste Stockwerk. Das Haus war sauber und hell tapeziert und wies keine der Gerüche oder Graffiti auf, auf die er in der Vergangenheit in solchen Häusern schon oft gestoßen war. Wahrscheinlich, sagte er sich, kosteten Wohnungen wie diese heutzutage ein Vermögen. Wie viel verdiente eine Dichterin? Sicherlich nicht viel. Es wäre unhöflich, zu fragen.
      Die Wohnung selbst war klein. Sie gelangten in einen engen Flur und Banks folgte Ruth Dünne nach rechts ins Wohnzimmer. Er wusste nicht recht, was er eigentlich erwartet hatte, besaß kein vorgefasstes Bild davon, wie die Wohnung einer Dichterin aussehen sollte, aber was immer er sich vorgestellt haben mochte - es wurde nicht erfüllt. Vor dem Gasofen stand ein Diwan, auf dem eine knallbunte, gehäkelte Decke lag und der von durchhängenden Sesseln flankiert war, die ebenso drapiert waren. Er war überrascht, keine Bücherregale vorzufinden, und nahm an, dass es in der Wohnung noch ein Arbeitszimmer gab. Aber nicht nur das, was er vermisste, überraschte ihn, sondern auch das, was er sah: Mehrere Stofftiere, darunter ein grüner Elefant, ein pinkfarbener Frosch und eine rote Giraffe, lagen in diversen Nischen und auf dem Sims des Erkerfensters. Und an drei der vier Wände tickten kunstvolle Kuckucksuhren, von denen jede auf eine andere Zeit eingestellt war.
      »Die müssen ja einen ganz schönen Lärm machen«, bemerkte Banks und deutete auf die Uhren.
      Ruth Dünne lächelte. »Man gewöhnt sich daran.«
      »Weshalb die verschiedenen Zeiten?«
      »Die Zeit interessiert mich nicht, nur die Uhren. Tatsächlich halten mir meine Freunde immer vor, dass ich ein chronisch unpünktlicher Mensch bin.«
      Auf dem Kaffeetisch zwischen Diwan und Ofen lagen ein Buch über Uhrmacherei, ein paar Rechnungen und eine Schachtel filterlose Gauloises; daneben stand ein Aschenbecher.
      »Machen Sie es sich bequem«, sagte Ruth. »Ich bin noch nie von der Polizei verhört worden. Auf jeden Fall nicht von einem Chief Inspector. Möchten Sie einen Kaffee?«
      »Gerne.«
      »Ich habe leider nur löslichen.«
      »Das ist in Ordnung. Schwarz, bitte.«
      Ruth nickte und verließ das Zimmer. Wenn Banks eine feindselige Begrüßung erwartet hatte, aus welchem Grund auch immer, dann entwaffneten ihn Ruth Dünnes Charme und Gastfreundschaft jetzt jedenfalls. Und ihre Erscheinung. Ihr glänzend braunes Haar, halblang geschnitten, war lässig zurückgekämmt und auf einer Seite gescheitelt, sodass der Pony ihr linkes Auge fast verdeckte. Ihr Gesicht war faltenlos und ungeschminkt. Sie hatte ausgeprägte Gesichtszüge und war

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