Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
nervösen oder zappeligen Eindruck, aber seine Augen waren mit einer Art resignierter, weinerlicher Angst erfüllt. Banks, der sich noch immer nicht ganz sicher war, was in dem großen, kalten Haus vorgefallen war, wollte, dass er sich entspannte und redete. Frischer, heißer Kaffee könnte dabei vielleicht helfen.
Während er wartete, überflog Banks die kurzen Notizen, die der gerichtsmedizinische Pathologe nach seiner Voruntersuchung aufgesetzt hatte. Seiner Schätzung nach war der Tod vor nicht weniger als zwei und nicht mehr als drei Tagen eingetreten. Vielleicht seit drei Tagen also, kurz nach Banks' und Richmonds Besuch, hatte der arme, verängstigte Junge vor ihnen rauchend und trinkend in der kalten Ruine von einem Zimmer gesessen und gewusst, dass die Leiche seines Vaters oben in der Hitze eines Elektroofens verweste. Der Arzt war nicht vorbeigekommen; solange Mr Hartley mit Schmerzmitteln versorgt war und sich jemand um seine Grundbedürfnisse kümmerte, hatte er auch keine Veranlassung dazu.
»Leichenstarre abgeklungen ... grünliche Verfärbung des Unterleibs«, stand in dem Bericht, »rötliche Adern an Hals, Schultern und Oberschenkeln ... noch keine Marmorierung.« Die Zimmertemperatur hatte den Prozess der Zersetzung beträchtlich beschleunigt, stellte Banks fest. Außerdem war die Luft trocken, und wenn der alte Mann noch länger dort gelegen hätte, dann wäre zu einem gewissen Grad wohl bereits die Mumifizierung eingetreten. Banks vermutete, dass die Todesursache Verhungern war; Gary hatte ihn einfach sterben gelassen. Aber bis Todesursache und Todeszeit genau feststanden, würde es noch eine Weile dauern. Die Körper älterer Menschen zersetzten sich langsamer als die von jungen und dünnere langsamer als dicke. Leichen kranker Menschen fielen schnell zusammen. Der Mageninhalt musste untersucht und die inneren Organe nach dem Grad der Verwesung überprüft werden.
Das war alles höchst interessant, dachte Banks, aber nichts davon spielte wirklich eine Rolle, wenn Gary Hartley gestand.
Schließlich brachte Constable Tolliver Kaffee und Tassen. Susan schenkte Gary eine Tasse ein und schob ihm Milch und Zucker hin. Er nahm Susan nicht zur Kenntnis. Banks ging hinüber zum Fenster, blickte kurz hinaus auf den grauen Marktplatz und setzte sich dann, um anzufangen. Um dem Jungen die Befangenheit zu nehmen, sprach er in einem ruhigen, fast vertrauten Ton.
»Vorhin waren Sie wohl etwas verwirrt, Gary. Sie haben gesagt, Sie nehmen an, dass Sie Caroline umgebracht haben. Dann haben Sie mir erzählt, Sie glauben, Ihr Vater habe sie getötet. Könnten Sie etwas deutlicher werden?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich ... ich ...«
»Warum erzählen Sie mir nicht von der Nacht, in der Sie sie getötet haben? Fangen Sie ganz von vorne an.«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Versuchen Sie es. Es ist wichtig.«
Gary kniff konzentriert seine Augen zusammen, doch als er sie wieder öffnete, schüttelte er den Kopf. »Es ist alles dunkel. Alles dunkel innen. Und es tut weh.«
»Was tut weh, Gary?«
»Mein Kopf. Meine Augen. Alles.« Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und erschauderte.
Banks ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Wie sind Sie nach Eastvale gekommen?«, fragte er dann.
»Was?«
»Nach Eastvale. Sind Sie mit dem Bus oder dem Zug gefahren? Oder haben Sie sich einen Wagen geliehen?«
Gary schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht nach Eastvale gefahren. Ich war nicht in Eastvale.«
»Wie haben Sie dann Caroline getötet?«
»Wie gesagt, ich weiß es nicht.« Er legte seinen Kopf in die Hände. »Ich weiß es einfach nicht.«
»Was ist mit Ihrem Vater passiert, Gary?«
»Er ist tot.«
»Wie ist er gestorben? Haben Sie ihn getötet?«
»Nein. Ich bin nicht in seine Nähe gekommen.«
»Haben Sie aufgehört, hoch in sein Zimmer zu gehen? Haben Sie aufgehört, ihn zu füttern?«
»Ich konnte nicht mehr zu ihm hochgehen. Nicht, nachdem ich das mit Caroline erfahren hatte. Ich habe darüber nachgedacht und eine Weile weitergemacht, aber dann konnte ich nicht mehr.« Er sah Banks flehend an. »Das müssen Sie verstehen. Ich konnte nicht. Nicht, nachdem sie tot war.«
»Sie haben also aufgehört, ihn zu pflegen?«
»Er hat sie getötet.«
»Aber das konnte er nicht, Gary. Er war krank und bettlägerig. Er hätte nicht nach Eastvale fahren und sie töten
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