Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
machen Sie über die Feiertage?«, fragte Banks sie über den Krach hinweg.
»Ich fahre nach Hause.«
»Denn falls Sie allein hier bleiben«, fuhr er fort, »dann können Sie jederzeit bei uns zum Weihnachtsbraten vorbeikommen. Sie haben ja kaum genug freie Zeit, um wirklich irgendwohin zu fahren.«
»Danke«, erwiderte Susan, »aber es geht schon. Sheffield ist nicht so weit.«
Banks nickte. Richmond, das wusste er, würde die Tage mit seiner Familie in der Stadt verbringen. Und Gristhorpe kam in diesem Jahr mit zu Banks. An ihren ersten beiden Weihnachtsfesten im Norden war Banks mit seiner Familie in sein Bauernhaus hinausgefahren, wo Mrs Hawkins, seine Haushälterin, sie verwöhnt hatte. Doch in diesem Jahr waren Mrs Hawkins und ihr Mann zu ihrer Tochter nach Cambridge eingeladen worden. Es war für sie das erste Weihnachtsfest, das sie auswärts verbrachten, aber da ihre Tochter ihnen kürzlich einen Enkel geboren hatte, konnten sie kaum ablehnen. Anfangs hatte sich Gristhorpe geziert, aber als Banks seine Einladung zum dritten Mal aussprach, hatte er sich ohne viel Gegenwehr geschlagen gegeben. Ausschlaggebend dafür war wohl, so vermutete Banks, dass Sandra ihm erzählt hatte, das gesamte Haus wäre nun eine »Nichtraucherzone«.
Um fünf Uhr entschied Banks, dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen. Er hatte drei Pints Theakston's Bitter getrunken, genau die angemessene Menge, um Appetit zu bekommen. Sandra erwartete ihn zum Abendessen. Für das Festessen morgen rechnete sie mit seiner Hilfe, wahrscheinlich - da seine Kochkünste begrenzt waren - vor allem für die langweiligen Arbeiten, wie das Kleinschneiden von Gemüse und das Tischdecken. Aber heute Abend hatte Sandra alles übernommen.
Er verabschiedete sich rundherum und spazierte hinaus in den Schnee, der den ganzen Tag über gefallen war. Auf der anderen Straßenseite verbreitete die blaue Laterne des Polizeireviers ihr onkelhaftes Licht. Banks hatte keine Ahnung, warum er sie so sehr hasste, aber so war es nun einmal. Sie war ein fauler Schwindel und stand für eine Art billiger Nostalgie nach Zeiten, als die Guten weiße Anzüge getragen hatten und die Bösen schwarze und als alles noch so viel einfacher gewesen war. Jedenfalls redete man sich ein, dass alles einfacher war. Vielleicht stimmte es wirklich, doch Banks bezweifelte es. Für Menschen wie Caroline Hartley oder Veronica Shildon war es in dieser Welt mit Sicherheit niemals einfach gewesen.
Wie auch immer, sagte er sich, hinfort mit den trübsinnigen Gedanken. Er setzte seine Kopfhörer auf und fingerte an dem Walkman in seiner Tasche herum. Die Musik, die er ausgewählt hatte, war sein persönlicher Beitrag für die Jahreszeit: Benjamin Brittens A Ceremony of Carols. Doch fiel es ihm schwer, auch nur für kurze Zeit den Fall zu vergessen. Nicht die Ermittlung, die Einzelheiten oder die Spuren, sondern die nackte Tatsache von Caroline Hartleys brutaler Ermordung. Selbst im Pub hatte er sich zeitweilig wie ein Zuschauer gefühlt, der den anderen beim Feiern zuschaute und von dem, was er in Oakwood Mews Nummer elf gesehen hatte, abgehalten wurde, mitzumachen. Aber es war Heiligabend, und er musste sich um seiner Familie willen bemühen, fröhlich zu sein.
Der Schnee war verharscht und knirschte unter den Füßen. Immerhin hatte Eastvale die weiße Weihnacht bekommen, auf die alle während der letzten drei verregneten Jahre gehofft hatten. In den Fenstern blinkten bunte Lichter, und für einen Augenblick spürte Banks diese flüchtige Stimmung von Frieden und Entspannung in der Luft, die kurz aufzukommen scheint, wenn der kommerzielle Rausch der Weihnachtszeit allmählich abflaut.
Er erinnerte sich an die Weihnachtsfeste seiner Kindheit, an die schlaflosen Nächte vor dem großen Tag; an das Auspacken der Geschenke in den frühen Morgenstunden; an die Enttäuschung in dem Jahr, als seine Eltern ihm nicht das Fahrrad, das er so gerne gehabt hätte, kaufen konnten, weil sein Vater ohne Arbeit war; an die Freude zwei Jahre später, als er ein noch besseres bekam, als er erwartet hatte.
Zu Hause war die Wohnung geschmückt, die Lichter brannten und die Kinder sprühten vor Aufregung und Neugier auf ihre Geschenke. Auf jeden Fall Tracy. Brian mit seinen siebzehn Jahren nahm die ganze Sache wesentlich gelassener.
»Nein, du darfst sie heute Abend noch nicht auspacken«, sagte Banks zu seiner Tochter.
»Aber Laura Collins hat mir
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