Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
Alibi.«
»Und?«
»Ich war hier. Ich bin immer hier. Oder fast immer. Früher bin ich manchmal zur Schule gegangen, damit sie nicht völlig die Krise kriegten, aber es war reine Zeitverschwendung. Seit ich abgegangen bin, habe ich durch das Lesen dieser alten Bücher eine bessere Bildung bekommen. Manchmal gehe ich einkaufen, hauptsächlich Essen und Klamotten. Oder zum Frisör und zur Bank. Das war's. Sie wären überrascht, wie selten man rausmuss, wenn man nicht will. Wenn ich es gut organisiere, dann schaffe ich alles an einem Morgen pro Woche. Alkohol ist am wichtigsten. Wenn man das geregelt hat, dann geht der Rest von ganz allein.«
»Was ist mit Ihren Freunden?«, wollte Banks wissen. »Gehen Sie mit denen nie aus?«
»Freunde? Diese Schwachköpfe aus der Schule? Die sind früher manchmal vorbeigekommen.« Er zeigte auf die Holzvertäfelung. »Wie man sehen kann. Aber die hielten mich für verrückt. Die wollten nur saufen und Randale machen, und als es ihnen langweilig wurde, sind sie nicht mehr aufgetaucht. Hier bleibt immer alles beim Alten.«
»Und am zweiundzwanzigsten Dezember?«, wiederholte Richmond.
»Wie gesagt«, meinte Gary. »Ich war hier.«
»Können Sie es beweisen?«
»Wie denn? Meinen Sie Zeugen?«
»Das würde helfen.«
»Wahrscheinlich habe ich den Topf vom Alten geleert. Vielleicht sogar seine Laken gewechselt, wenn er ins Bett gemacht hat. Aber er wird sich nicht daran erinnern. Für ihn ist ein Tag wie der andere. Vielleicht war ich sogar kurz im Schnapsladen, um ein paar Dosen Bier und Kippen zu kaufen, aber beweisen kann ich das auch nicht.«
Jedes Mal wenn Gary über seinen Vater sprach, bekam seine Stimme einen hasserfüllten Ton. Banks konnte das verstehen. Der Junge musste durch den Widerspruch zwischen Pflicht und Sehnsucht, Verantwortung und Freiheitsdrang in zwei Hälften zerrissen worden sein. Er hatte aufgegeben und das Joch akzeptiert, und er musste sich selbst für seine Schwäche und vor allem seinen Vater, der diese Forderungen an ihn stellte, hassen. Und natürlich Caroline. Wie sehr musste er Caroline gehasst haben, obwohl er nicht verbittert klang, wenn er von ihr sprach. Vielleicht war sein Hass durch ihren Tod beschwichtigt worden und er hatte sich selbst erlaubt, ein wenig Mitleid zu fühlen.
»Sind Sie an diesem Abend nach Eastvale gefahren?«, fuhr Richmond fort. »Haben Sie Ihre Schwester besucht und bei ihr die Beherrschung verloren?«
Gary hustete. »Sie glauben wirklich, ich hätte sie getötet, was? Das ist wohl ein Witz. Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich es vor ein paar Jahren getan, als ich wirklich gecheckt habe, was sie mir aufgehalst hat. Aber nicht jetzt.«
Vor fünf oder sechs Jahren, rechnete Banks nach, war Gary erst zwölf oder dreizehn gewesen und für ein relativ normales Kind wohl zu jung, um Schwestermord zu begehen. Und damals hatte er wahrscheinlich noch ein normaleres Leben geführt. Außerdem hatte Banks über die Jahre gelernt, dass es lange dauern konnte, bis Verbitterung und Missgunst zum Ausbruch kamen. Manchmal hegten die Menschen jahrelang Hassgefühle und tief sitzende Feindseligkeiten, ehe sie explodierten. Sie brauchten nur den richtigen Auslöser.
»Haben Sie Caroline jemals in Eastvale besucht?«, fragte Banks.
»Nein. Wie gesagt, ich gehe kaum raus. Und bestimmt nicht so weit.«
»Haben Sie mal Veronica Shildon kennen gelernt?«
»Ist das die Lesbe, mit der sie zusammengezogen ist?«
»Genau.«
»Nein, habe ich nie gesehen.«
»Aber Caroline hat Sie hier besucht?«
Er hielt inne. »Ab und zu. Seit sie aus London zurück war.«
»Sie haben der Polizeibeamtin, die Sie vor ein paar Tagen besucht hat, erzählt, dass Sie über Carolines Leben in London nichts wüssten. Stimmt das?«
»Ja.«
»Also hatten Sie fünf Jahre lang, als sie zwischen sechzehn und einundzwanzig war, keinen Kontakt.«
»Genau. Es waren sogar sechs Jahre.«
»Wussten Sie, dass sie ein Baby hatte?«
Gary schnaubte. »Ich wusste, dass sie eine Schlampe war, aber dass sie ein Kind hatte, war mir nicht bekannt, nein.«
»Sie hatte eines. Wissen Sie, was aus dem Kind geworden ist? Wer der Vater war?«
»Wie denn? Ich hatte ja keinen blassen Schimmer, dass sie ein Kind hatte.«
Die Frage schien ihn zu verwirren. Banks entschied, ihm für den Moment zu glauben.
»Hat sie Ihnen gegenüber mal eine Ruth
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