Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
erwähnt?«
Gary dachte einen Augenblick nach. »Ja, das ist doch diese Frau, die Gedichte schrieb und die sie in London kannte.«
»Können Sie sich noch erinnern, was Caroline über Ruth erzählt hat?«
»Nein. Nur, dass die beiden irgendwie befreundet waren und diese Ruth ihr geholfen hat.«
»Das ist alles? Wobei geholfen?«
»Keine Ahnung. Sie hat nur gesagt, dass sie ihr geholfen hat.«
»Was hat sie Ihrer Meinung nach damit gemeint?«
Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat Ruth sie von der Straße geholt oder so und ihr mit dem Baby geholfen. Woher soll ich das wissen?«
»Wie hieß sie mit Nachnamen?«
»Den hat sie nie erwähnt.«
»Wo in London hat sie gewohnt?«
»Keine Ahnung.«
»Sind Sie sicher, dass Sie uns nicht mehr von ihr erzählen können?«
Gary nickte.
»Kennen Sie sich mit Musik aus?«, fragte Banks.
»Nein - kann ich nichts mit anfangen.«
»Ich meine klassische Musik.«
»Ich finde jede Musik schrecklich.«
Noch so ein Banause, dachte Banks, genau wie Superintendent Gristhorpe. Aber das bedeutete nicht, dass Gary sich mit dem Thema nicht auskannte. Er las eine Menge und hätte dabei, vielleicht in einer Autobiographie, leicht auf die notwendigen Einzelheiten zu dem Stück von Vivaldi stoßen können.
»Als Sie Caroline das letzte Mal gesehen haben«, fuhr Banks fort, »hat sie Ihnen da irgendetwas erzählt, das Ihnen Grund gab, sich um sie zu sorgen oder zu denken, sie könnte in Gefahr sein oder vor etwas Angst haben?«
Gary machte den Eindruck, als überdenke er die Frage ein wenig, dann schüttelte er den Kopf. »Nein.«
Wieder glaubte Banks, dass er die Wahrheit sagte. Die reine Wahrheit. Doch unter der Oberfläche von Garys Aussagen gab es etwas, das seine Antwort ausweichend erscheinen ließ.
»Möchten Sie uns sonst noch etwas sagen?«
»Nee.«
»Na gut.« Banks schaute Richmond nickend an und die beiden gingen zur Tür. »Machen Sie sich keine Mühe«, sagte Banks. »Wir kennen den Weg hinaus.«
Gary antwortete nicht.
»Himmel Herrgott«, sagte Richmond, nachdem sie in den Wagen gestiegen waren und die Heizung angestellt hatten. »Was für ein verdammter Spinner.« Er rieb seine Hände aneinander.
»Das würde man nicht denken, oder?«, sagte Banks und schaute auf die großen, eleganten Steinhäuser. »Dass man hinter einer so vornehmen Fassade etwas so Verkorkstes findet.«
»Außer man ist Polizist«, entgegnete Richmond.
Banks lachte. »Gehen wir auf dem Rückweg etwas essen«, schlug er vor; »danach können Sie nach Barnard Castle fahren und ich versuche einen Termin bei der Therapeutin zu kriegen.«
»Besser Sie als ich«, feixte Richmond. »Wenn sie nur annähernd so ist wie neulich, als ich mit ihr sprach, dann wird sie Sie am Ende wahrscheinlich davon überzeugen, dass Sie auch eine Therapie brauchen. Aber vorher hat sie Ihnen bestimmt schon mal ordentlich die Leviten gelesen.«
»Wer weiß, vielleicht brauche ich wirklich eine Therapie«, meinte Banks nachdenklich, bog dann am Stray ab, passierte die königlichen Bäder und fuhr zurück nach Eastvale.
* II
Ursula Kellys Praxis befand sich im zweiten Stock eines alten Gebäudes in der Castle Hill Road. Die Räume gingen nach hinten raus und boten einen großartigen Blick über die Gartenanlagen und den Fluss bis zu dem hässlichen Industriegelände im Osten und dem Tal dahinter. Heute konnte man allerdings außer einem einheitlichen weißen Schleier, durch den gelegentlich eine Baumgruppe, ein um die Jahrhundertwende erbauter Straßenzug oder ein Telegrafenmast hervorstachen, nicht viel erkennen.
Das Wartezimmer war eng und kühl und von den Zeitschriften war keine nach Banks' Geschmack. Es war kein Gespräch, auf das er sich freute. Er hatte eine tiefe, berufsbedingte Abneigung dagegen, während eines Falles Ärzte oder Psychiater zu befragen. Auch wenn sie an das Gesetz gebunden und ihm verpflichtet waren - nach seiner Erfahrung hatten sie sich nie als nützliche Informationsquellen erwiesen. Die einzige Person aus diesem Berufskreis, der er wirklich vertraute, war Jenny Füller, die ihm ein paarmal geholfen hatte. Als er aus dem Fenster auf den Schnee sah, fragte er sich, was wohl Jenny von Gary Hartley und der gesamten Situation gehalten hätte. Leider war sie verreist.
Nach ungefähr zehn Minuten bat ihn Dr. Ursula Kelly in ihr inneres
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