Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
einfacher. Je motivierter der Suchende ist, desto besser wird das Ergebnis der Suche sein, habe ich mal in einem Lehrbuch gelesen.«
Ungefähr fünf Minuten später stapfte Kendal zurück zum Tisch und setzte sich.
»Und?«, fragte Hatchley.
»Er hat um sechs aufgemacht, außerhalb der Saison haben sie hier nämlich nicht rund um die Uhr geöffnet, und er sagt, dass Ivers' Wagen weg war.«
»Um sechs?«
»So ungefähr, ja.«
»Aber er hat ihn nicht wegfahren gesehen?«
»Nein. Aber er hat gesehen, wie seine Tussi weggefahren ist.«
»Ach.«
»Ja. Eine Amerikanerin. Könnte seine Tochter sein. Sie hat einen eigenen Wagen. Auffälliger roter Sportwagen. Na ja, Sie kennen ja diese reichen Leute ...«
»Erzählen Sie mir von ihr.«
»Ollie sagt, sie stieg gerade in ihren Wagen und fuhr weg, als er ankam.«
»Wo ist sie langgefahren?«
Kendal schaute Hatchley verächtlich an und zeigte mit einem hornhautüberzogenen Daumen hinaus. »Es gibt hier nur einen Weg raus, den verdammten Berg hoch.«
Hatchley kratzte seine Wange. »Ach so, meine vorschriftsmäßige Detailkarte ist mir noch nicht ausgehändigt worden. Also noch mal Klartext. Um sechs Uhr war Ivers' Wagen bereits verschwunden und seine Freundin ist gerade in ihren gestiegen und weggefahren. Richtig?«
Kendal nickte.
»Sonst noch was?«
»Nein.« Kendal stand auf und wollte gehen.
»Einen Augenblick, Constable«, sagte Hatchley. »Ich habe die Wette gewonnen. Da Sie schon stehen, ein Pint Bitter für mich und ein Gin Tonic für meine Frau, wenn es keine Umstände macht.«
* SECHS
* I
»Was hat Susan vor?«, wollte Richmond am Nachmittag des 27. Dezember auf dem Weg nach Harrogate von Banks wissen.
Die Straßenverhältnisse hatten sich erheblich verbessert. Auf den meisten Hauptstraßen war Salz gestreut worden, zudem war der Himmel zum ersten Mal seit Wochen strahlend blau und auf den schneebedeckten Bergen und Feldern glitzerte die Sonne.
»Sie soll die Herkunft der Schallplatte ermitteln«, antwortete Banks. »Ohne Druck wollen manche Läden anscheinend keine Auskunft geben.«
»Glauben Sie, das führt zu etwas?«
»Könnte sein, nur weiß ich nicht, zu was. Zufällig ist die Platte jedenfalls nicht gelaufen. Die Musik war so was wie ein makabrer Soundtrack. Nennen Sie es eine Ahnung, wenn Sie wollen, aber irgendetwas daran ist verdammt merkwürdig.«
»Claude Ivers?«
»Könnte sein. Immerhin wissen wir jetzt, dass er uns angelogen hat. Er war nicht zu Hause. Mit ihm werden wir später reden. Heute möchte ich mir einen eigenen Eindruck von Caroline Hartleys familiärem Hintergrund verschaffen. Wir haben bereits Susans Einschätzung, jetzt ist es Zeit für Ihre und meine. Der alte Mann kann es nicht getan haben, also werden wir uns auf den Bruder konzentrieren. Sieht so aus, als hätte er eine Menge Motive, und niemand weiß, was er den ganzen Tag treibt. Es wäre nicht schwer für ihn gewesen, seinen Vater für ein paar Stunden schlafen zu lassen und hinauszuschleichen. So wie Susan gesagt hat, hätte es der alte Mann wahrscheinlich nicht bemerkt.«
»Wie hätte der Junge nach Eastvale kommen sollen?«
»Mit dem Bus. Oder der Bahn. Es gibt ziemlich regelmäßige Verbindungen.«
Sie hielten vor dem riesigen, dunklen Haus an.
»Verdammt noch mal, das sieht wirklich gruselig aus, oder?«, meinte Richmond. »Er hat sogar die Vorhänge zugezogen.«
Sie gingen den Weg durch den überwucherten Garten hinauf und klopften an die Tür. Niemand öffnete. Banks hämmerte erneut, diesmal kräftiger. Ein paar Sekunden später öffnete sich langsam die Tür und ein dünner, blasser Teenager mit struppigem schwarzem Haar schielte in den grellen, kalten Tag. Banks zeigte seinen Ausweis.
»Heute können Sie Vater nicht sprechen«, erklärte Gary. »Er ist krank. Der Arzt war hier.«
»Wir wollen mit Ihnen sprechen«, sagte Banks. »Wenn Sie nichts dagegen haben.«
Gary Hartley wandte ihnen den Rücken zu und verschwand wieder in der Halle. Da er die Tür nicht zugemacht hatte, schauten sich die beiden verdutzt an und folgten ihm, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Einen Unterschied machte das allerdings nicht, im Haus war es trotzdem lausig kalt.
Im Wohnzimmer erkannte Banks die hohen Decken, verzierten Ecken und alten Anschlüsse für Kronleuchter, die Susan beschrieben hatte.
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