Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
Grad verworren sind. Diese Dinge können nichts mit ihrem Tod zu tun haben, das versichere ich Ihnen. Wie können die Gefühle eines kleinen Mädchens über - sagen wir - eine verlorene Puppe Auswirkungen auf ihre Ermordung zwanzig Jahre später haben?«
»Unter Fachleuten, glauben Sie nicht, dass ich am besten dafür geeignet bin, das zu entscheiden?«
»Ich kann Ihnen nichts sagen. Ich hatte mit ihren Gefühlen zu tun. Wir versuchten aufzudecken, warum sie in Bezug auf bestimmte Dinge so fühlte, wie sie es tat, und was die Wurzeln ihrer Ängste und Unsicherheiten waren.«
»Und was waren die Wurzeln?«
Sie lächelte. »Selbst in zehn Jahren, Chief Inspector, hätten wir wahrscheinlich noch nicht alle aufgedeckt. So wie Sie da auf Ihrem Stuhl herumzappeln, brauchen Sie wohl eine Zigarette. Rauchen Sie nur, wenn Sie wollen. Ich rauche zwar nicht, aber es stört mich nicht. Viele meiner Patienten verspüren den Drang nach infantiler, oraler Befriedigung.«
Banks ignorierte die spitze Bemerkung und zündete sich eine Zigarette an. »Ich nehme an, ich muss Sie nicht daran erinnern«, sagte er, »dass die Schweigepflicht, die zwischen Rechtsanwalt und Klient besteht, nicht auf das Verhältnis zwischen Therapeut und Patient zutrifft, oder?«
»Es geht nicht darum, dass ich erinnert werden muss. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.«
»Tja, aber so ist es. Sie sind per Gesetz dazu verpflichtet, jede Information zu enthüllen, die Sie in Ausübung Ihres Berufes erworben haben. Wenn nötig, könnte ich einen Gerichtsbeschluss erwirken und Sie damit zwingen, Ihre Akten auszuhändigen.«
»Pah! Dann tun Sie das doch. In meinen Akten gibt es nichts, das Sie besonders interessieren würde.« Sie tippte an ihren Kopf. »Das ist alles hier drin. Hören Sie, die beiden Frauen hatten Probleme. Sie kamen zu mir. Keine von beiden hat irgendjemandem etwas angetan. Sie sind nicht kriminell und sie haben keinerlei gefährliche psychologische Störungen. Das wollten Sie doch wissen, oder?«
Banks seufzte. »Na gut. Können Sie mir wenigstens sagen, in welcher Art Caroline Fortschritte gemacht hat? War sie in letzter Zeit zufrieden? Hat ihr etwas zu schaffen gemacht?«
»Soweit ich das beurteilen konnte, ging es ihr gut. Auf jeden Fall hatte sie keine Sorgen. Wir waren sogar zu ...«
»Ja?«
»Lassen Sie es mich so sagen: Sie hatte sich erst kürzlich durch ein besonders schwieriges Trauma gearbeitet. Sie können in der Analyse ab und zu auftauchen und sehr schmerzhaft sein.«
»Aber Sie wollen mir nicht davon erzählen, oder?«
»Sie hatte sich einem ihrer Dämonen gestellt und ihn besiegt. Und wenn Menschen ein bedeutendes Hindernis überwunden haben, sind sie normalerweise zufrieden, jedenfalls für eine Weile.«
»Hat Sie mal über ihren Bruder Gary gesprochen?«
»Es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten über ihre Familien sprechen.«
»Was hatte sie über ihn zu sagen?«
»Das ist uninteressant für Sie.«
»Sie hat ihn sehr schlecht behandelt. Hat sie sich nicht schuldig gefühlt?«
»Wir fühlen uns alle schuldig, Chief Inspector. Meinen Sie nicht auch?«
»Vielleicht hätte er Ihr Patient sein sollen. Zumindest scheint er dank seiner Schwester einige Probleme zu haben.«
»Ich suche mir meine Patienten nicht aus. Sie suchen mich aus.«
»Veronica Shildon war auch Ihre Patientin, nicht wahr?«
»Ja. Aber über sie kann ich noch weniger sagen. Sie lebt noch.«
Demnach zu urteilen, wie wenig Ursula Kelly über Caroline gesagt hatte, wusste Banks, dass er nicht viel zu erwarten hatte.
»Hat Veronica bei ihrer letzten Sitzung etwas besonders bedrückt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr Sergeant hat mich das auch schon gefragt und die Antwort ist die gleiche. Nein. Soweit es mich betraf, war es eine völlig normale Sitzung.«
»Keine plötzlichen Traumata?«
»Keine.« Sie beugte sich nach vorn und legte ihre Hände auf den Schreibtisch. »Hören Sie, Chief Inspector, Sie denken vielleicht, dass ich nicht sehr mitteilsam bin. Das ist Ihr gutes Recht. In meinem Beruf wird man sehr schnell in die innersten Ängste und Geheimnisse der Menschen eingeweiht, mit denen man zu tun hat, und man gewöhnt sich an, sie für sich zu behalten. Sie suchen nach Fakten. Ich habe keine. Selbst wenn ich Ihnen erzählen würde, was während meiner Sitzungen mit Caroline oder Veronica passiert ist, würde es
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