Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
nichts für mich zu sein. Doch mit der Zeit wurde ich so unglücklich, dass ich einfach etwas tun musste, weil ich fürchtete, mir ansonsten irgendwann das Leben zu nehmen. Ich habe mir wohl eingeredet, eine Therapie wäre eine Art intellektuelles Vergnügen, nichts Tiefgründiges oder Persönliches. Eher so, als würde man einen Abendkurs belegen, Sie wissen schon, wie Töpfern, Korbflechten oder kreatives Schreiben. Es war nicht so, als würde ich zu einem richtigen Arzt oder Psychiater gehen, und deshalb habe ich es irgendwie geschafft. Trotzdem musste ich all meinen Mut zusammennehmen. Aber ich war so unglücklich. Und es half. Es kann ein schmerzvoller Prozess sein, wissen Sie. Man umkreist ständig irgendwelche Dinge, ohne sie jemals wirklich zur Sprache zu bringen, und manchmal hält man es für Zeitverschwendung und denkt, das alles führt nirgendwohin. Dann aber konzentriert man sich auf bestimmte Dinge und merkt, dass man sie aus gutem Grund umkreist hat. Manchmal erhält man eine Art Einsicht und das hält einen für eine Weile aufrecht. In dieser Zeit habe ich Caroline kennen gelernt.«
»Hatten Sie solche Gefühle schon vorher gehabt?«, fragte Banks.
»Für eine andere Frau?«
»Ja.«
Veronica schüttelte den Kopf. »Ich hatte solche Gefühle vorher noch nie für jemanden gehabt. Irgendwie war es einfach kein Problem, dass sie eine Frau war. Jedenfalls am Anfang nicht. Alles war so natürlich, dass ich keinen Gedanken daran verschwenden musste.
»Und Ihre Vergangenheit, Ihre Erziehung?«
Veronica lächelte. »Ja - ist es nicht verlockend, alles darauf zurückführen zu wollen? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich glaube nicht, dass man das kann. Ich hatte in meiner Vergangenheit keine schrecklichen Erfahrungen mit Männern gemacht. Ich bin nie missbraucht, vergewaltigt oder malträtiert worden.« Sie hielt inne. »Auf jeden Fall nicht körperlich.«
»Wie sieht Ihr familiärer Hintergrund aus?«
»Anständige, kleinbürgerliche, gehobene Mittelschicht. Sehr einengend. Ausgesprochen kalt. Über Gefühle wurde nie gesprochen, und niemand hat mir je gesagt, worum es im Leben wirklich geht. Meine Mutter war distinguiert und sehr streng, mein Vater gütig und sanft, aber ziemlich distanziert und unnahbar. Und er war häufig weg. Während ich aufgewachsen bin, hatte ich nie viel Kontakt zu Jungen. Ich besuchte eine Klosterschule und selbst an der Universität war ich nicht sehr kontaktfreudig. Ich lebte in einem Wohnheim für Mädchen und neigte dazu, zu Hause zu sitzen und viel zu lernen. Ich war schüchtern. Die Männer mit ihren tiefen Stimmen und aggressiven Verhaltensweisen haben mir Angst gemacht. Ich weiß nicht, weshalb. Als ich Claude kennen lernte, war er Gastdozent für einen Einführungskurs in Musik. Solche Kurse waren genau das Richtige für wohlerzogene junge Damen - also bin ich auch hingegangen. Ich war von seinem Wissen und seiner offenkundigen Leidenschaft für das Thema fasziniert. Genau das habe ich übrigens später an ihm gehasst. Aus irgendeinem Grund bin ich ihm aufgefallen. Er war ein älterer Mann und viel ungefährlicher als die geilen Jungs in der Campuskneipe. Ich war einundzwanzig, als ich ihn heiratete.«
»Sie hatten also nie einen anderen Freund?«
»Nie. Ich war zurückgezogen und verängstigt wie ein Mäuschen. Ob Sie mir glauben oder nicht, als Claude allmählich keine Lust mehr auf Sex hatte, war mir das nur allzu recht. Wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie ich eigentlich gelebt habe. Wie ich es durchgehalten habe. Ich war Hausfrau und hatte keine andere Arbeit. Wahrscheinlich habe ich in einer Art Trance geputzt und gekocht und das tägliche Fernsehprogramm angeschaut. Überdies nahm ich Valium.«
»Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Wir waren fünfzehn Jahre zusammen. Ich habe mich nie beklagt. Außerhalb seines Freundes- und Bekanntenkreises habe ich überhaupt nicht am Leben teilgenommen. Ich hatte keine eigenen Interessen oder Beschäftigungen. Ich mache Claude keinen Vorwurf. Er führte seine eigene Existenz und die Musik war ihm eben wichtiger als unsere Ehe. Das ist wohl so, wenn man an der Seite eines großen Künstlers lebt, oder? Und ich glaube, dass Claude ein großer Künstler ist. Aber große Künstler sind eben miserable Ehemänner.«
»Haben Sie jemals daran gedacht, Kinder zu bekommen?«
»Ja, habe ich. Aber Claude meinte, sie würden seine Ruhe
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