Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
der Stimme aus dem knackenden Lautsprecher zugehört.
Jetzt, nachdem sie gerade das Schild zu Ehren des regionalen Biermagnaten an der Bahnhofseinfahrt - »Joshua Tetley heißt Sie in Leeds willkommen« - passiert hatten, schaute Banks über die Schulter und sah die Stadt in der Ferne verschwinden. Zuerst füllte sie den Horizont aus, eine wild wuchernde Ausbreitung unter einem bedeckten Himmel. Hohe Schornsteine und Kirchturmspitzen ragten durch den graubraunen Schnee; die Kuppel der Stadthalle und der weiße Turm der Universitätsbibliothek beherrschten das Bild. Dann war die Stadt außer Sicht und im Osten und Westen erstreckten sich nur noch kahle Felder.
Veronica zog ihren dicken blauen Wintermantel aus und bettete ihn, sorgfältig zusammengelegt, auf das Gepäcknetz. Danach strich sie ihr Tweedkleid glatt, setzte sich Banks gegenüber und legte ihre Hände auf den Tisch zwischen ihnen.
»Es tut mir Leid«, sagte sie mit verlegenem Lächeln. »Ich weiß, ich falle Ihnen zur Last, aber die Vorstellung, allein zu reisen, hat mir nicht behagt. Es ist schon eine geraume Weile her, dass ich irgendwo allein war.«
»Schon in Ordnung«, antwortete Banks, der gehofft hatte, er könnte während der Reise das Kreuzworträtsel des Guardian lösen und Kammermusik von Poulenc auf seinem Walkman hören. »Kaffee?«
»Ja, gerne.«
Der Speisewagen war noch nicht geöffnet, aber ein Steward von British Rail ging langsam mit Getränken und Keksen durch den Gang. Banks fing ihn ab, kaufte zwei Becher Kaffee und schob einen über den glatten Tisch Veronica zu. Mechanisch griff er nach seinen Zigaretten, erinnerte sich dann aber daran, dass er in einem Nichtraucherabteil saß.
Veronica konnte nichts dafür; nachdem er ihr erlaubt hatte, ihn zu begleiten, hätte sie sich wohl überall mit ihm hingesetzt. Das Problem war nur, dass es im ganzen Zug nur einen Raucherwagen gab, und der war, wie immer, fast voll und gänzlich ungelüftet. Selbst Banks weigerte sich, hier zu sitzen. Ein paar Stunden würde er es leicht ohne Zigarette aushalten. Vielleicht tat es ihm sogar gut. Er holte den Steward ein und kaufte als Ersatz Kekse.
Hinter Wakefield fuhren sie schnell an eintönigen Feldern und Böschungen vorbei und versuchten, den heißen, dünnen Kaffee zu trinken, ohne etwas davon zu verschütten. Ihr Abteil war ungewöhnlich ruhig und leer. Vielleicht lag es daran, vermutete Banks, dass sie sich in dem Übergang zwischen Weihnachten und Neujahr befanden. Jeder brauchte dringend eine Erholungspause zwischen den beiden Festivitäten.
Im tiefsten südlichen Yorkshire bemerkte Banks, wie Veronica hinaus auf die verlassene Landschaft der Zechentürme und Schlackenhalden schaute, und fragte sie, woran sie gerade dachte.
»Komisch«, sagte sie, »aber ich dachte gerade daran, dass ich mich noch immer nur als etwas Halbes fühle. Wissen Sie, was ich meine? Ich kann akzeptieren, dass Caroline weg ist, dass sie tot ist und ich sie nie wiedersehen werde, aber ich empfinde mein Leben ohne sie nicht als vollständig, geschweige denn als wirklich.« Sie deutete mit dem Kopf zum Fenster. »Selbst die Welt da draußen kommt mir nicht mehr wirklich vor.«
»Das ist verständlich«, antwortete Banks. »Das braucht Zeit. Wie haben Sie sich eigentlich kennen gelernt?«
Veronica schaute ihn lange prüfend an, beugte sich dann vor, legte ihre Arme auf den Tisch und faltete ihre schlanken, mit Sommersprossen übersäten Hände.
»Ihnen muss das merkwürdig vorkommen. Sogar pervers. Aber das war es nicht. Es war nichts Verwerfliches daran.«
Banks hörte ihr aufmerksam zu.
Veronica seufzte und fuhr fort. »Zum ersten Mal gesehen habe ich Caroline in dem Cafe, in dem sie arbeitete. Ich machte damals gern lange Spaziergänge am Fluss und dachte dabei einfach über mein Leben nach und wie leer es doch war ... Irgendwie schien mich das fließende Wasser zu beruhigen. Wir haben ab und zu miteinander gesprochen, dann habe ich sie einmal auf dem Marktplatz gesehen und wir sind zusammen einen Kaffee trinken gegangen. Wir haben entdeckt, dass wir beide in Therapie sind. Danach ... nun, es ist nicht schnell passiert.«
»Was hat Sie an ihr angezogen?«
»Am Anfang habe ich gar nicht gemerkt, dass ich von ihr angezogen wurde. Können Sie sich vorstellen, dass jemand wie ich sich eingesteht, dass er sich in eine Frau verliebt hat? Aber Caroline war so lebendig und besaß eine so wundervoll
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