Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
und seinen Frieden stören. Er hat Kinder eigentlich nie gemocht. Und ich hatte - oder habe - Angst vor einer Geburt. Schreckliche Angst, um ehrlich zu sein. Wie auch immer, er hat sich einfach sterilisieren lassen und es mir erst gesagt, als es bereits geschehen war. Was halten Sie von kinderlosen Ehen, Mr Banks?«
Banks zuckte mit den Achseln. »Kann ich nicht sagen. Habe ich niemals erlebt.«
»Manche Menschen behaupten, in kinderlosen Ehen fehle die Liebe, aber das glaube ich nicht. Manchmal denke ich, es wäre am besten, wenn niemand Kinder hätte, wenn es keine Kinder und keine Eltern gäbe.« Sie bemerkte den Widerspruch des eben Gesagten und lächelte. »Das ist natürlich unmöglich. Dann wäre keiner da, der etwas fühlen könnte. Ich weiß, dass ich mich einsam fühle, und das tut weh, weil Caroline nicht hier ist. Aber gleichzeitig denke ich, dass es uns allen ohne Gefühle oder Bindungen wesentlich besser gehen würde. Ich will anscheinend beides.«
»Wer will das nicht? Also diese Philosophiererei macht mich durstig. Es ist zwar noch früh, aber was halten Sie von einem Drink?«
Veronica lachte. »Habe ich Sie schon zum Trinken verführt? In Ordnung, ich nehme einen Gin Tonic.«
Banks ging durch den Gang zum Speisewagen und hielt sich dabei an den Lehnen der Sitze fest, um in dem schaukelnden Zug nicht sein Gleichgewicht zu verlieren. Die meisten anderen Passagiere schienen Geschäftsleute zu sein, die ihre Köpfe in der Financial Times oder vor ihnen geöffneten Aktenkoffern voller Papiere vergraben hatten. Ein Mann tippte wie wild auf einen Laptop ein. Nachdem Banks kurz hatte anstehen müssen, kaufte er den Drink für Veronica und eine kleine Flasche Bell's für sich. Mit nur einer freien Hand zurückzugehen, erwies sich als ziemlich schwierig, aber es gelang ihm, ohne hinzustürzen oder etwas fallen zu lassen.
Zurück auf seinem Platz, schenkte er die Drinks ein. Sie fuhren an einer Kleinstadt vorbei. Ein mit Paletten übersäter, verdreckter Fabrikhof; eine neue, aus Backsteinen errichtete Schule mit kaum einem Fenster; schneebedeckte Spielfelder - so weiß wie die Pfosten der Rugbytore. Das Rattern des Zuges war beruhigend, auch wenn es ganz anders war als das der Dampfloks, mit denen Banks in seiner Kindheit Reisen mit seinem Vater unternommen hatte. Der Klang war nicht derselbe, außerdem vermisste er den beißenden Geruch und vor allem den Anblick des Rauches, der sich über den Bäumen einer bewaldeten Böschung kringelte, wenn er die Lokomotive in einer Kurve durch das Fenster sehen konnte.
Veronica schien zufrieden damit zu sein, schweigend ihren Gin Tonic zu trinken. Es gab noch so viele Fragen, die er ihr stellen wollte, um ihre Beziehung mit Caroline Hartley zu verstehen, aber er hatte den Eindruck, seine Fragen nicht rechtfertigen zu können. Er dachte daran, was sie über ein kinder- und elternloses Leben gesagt hatte, und erinnerte sich an das Gedicht von Philip Larkin, das er kürzlich wieder gelesen hatte. Das Ende, ja eigentlich schon der Anfang waren deprimierend, doch andererseits fand er Larkins umgangssprachlichen Stil so witzig und geistreich, dass er unweigerlich lächeln musste. Vielleicht lag das Geheimnis großer Kunst darin, dass sie im Betrachter mehr als ein Gefühl gleichzeitig erzeugen konnte: Tragik und Komik, Lachen und Weinen, Ironie und Leidenschaft, Hoffnung und Verzweiflung.
»Wie ist eigentlich Ihre Frau?«
Die Plötzlichkeit der Frage überraschte Banks, und er vermutete, dass ihm das anzusehen gewesen war.
»Entschuldigen Sie«, sagte Veronica schnell und errötete. »Ich hoffe, ich bin nicht indiskret.«
»Nein. Ich habe nur gerade an etwas anderes gedacht, das ist alles. Meine Frau? Tja, sie ist nur ein paar Zentimeter kleiner als ich. Sie ist schlank, hat ein ovales Gesicht, blondes Haar und dunkle Augenbrauen, ich würde sie als eine sehr sachliche, ja nüchterne Person bezeichnen ... lassen Sie mich nachdenken ...«
Veronica lachte und hob eine Hand. »Nein, nein. Schon gut. Ich wollte keinen Steckbrief. Ich habe wohl unterschätzt, wie schwer es ist, eine solche Frage aus dem Stegreif zu beantworten. Wenn mich jemand gebeten hätte, Caroline zu beschreiben, hätte ich gar nicht gewusst, wo ich anfangen soll.«
»Vorhin haben Sie es ganz gut hingekriegt.«
»Aber da habe ich doch nur Oberflächliches gesagt.«
Sie trank noch einen Schluck Gin Tonic und betrachtete dabei ihr
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