Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
hinunter stand eine alte Kapelle, die, dem Schild nach zu urteilen, in einen Sikh-Tempel verwandelt worden war. Sie betraten das Grundstück des Hauses Nummer achtundzwanzig und klingelten an der Tür.
Die Frau, die ihnen die Tür öffnete, hatte offenbar geweint, was aber ihrer Schönheit nichts anhaben konnte, dachte Banks. Vielleicht war das Weiße ihrer Mandelaugen ein wenig zu sehr gerötet und das glänzende blauschwarze Haar hätte gebürstet werden müssen, aber es gab keinen Zweifel daran, dass sie eine Frau von außerordentlicher Attraktivität war.
Sie war Nordinderin, vermutete Banks, oder stammte vielleicht aus Bangladesch oder Pakistan, und hatte eine Haut in der Farbe polierten Goldes, hohe Wangenknochen, volle, schön geschwungene Lippen und eine Figur, die im Playboy nicht fehl am Platze gewesen wäre und durch eine hautenge eisblaue Jeans und ein jadegrünes T-Shirt, das an ihrer schmalen Hüfte in die Hose gesteckt war, zur Geltung gebracht wurde. Um den Hals trug sie eine Kette aus bunten Glasperlen. Außerdem hatte sie einen goldenen Knopf im linken Nasenflügel. Sie sah aus wie Mitte zwanzig.
Ihre Finger, bemerkte Banks, als sie ihre Hand hob, um die Tür zuzustoßen, waren lang und schmal, die Nägel unlackiert und kurz geschnitten. Ein spiralförmiger, goldener Armreif rutschte von ihrem zierlichen Handgelenk auf den Unterarm. Am anderen Handgelenk trug sie eine einfache Timex-Uhr mit einem schwarzen Plastikband. Sie trug nur einen Ring, einen Goldring am Mittelfinger ihrer rechten Hand. Ein leichter Haarflaum bedeckte ihre nackten braunen Arme.
Das Wohnzimmer war gemütlich eingerichtet. Eine kleine, dreiteilige Garnitur mit burgunderroten Velourspolstern formte einen Halbkreis um einen Couchtisch aus dickem Glas vor einem Kamin, in dem wohl einmal ein richtiges Feuer gebrannt hatte, der nun aber einen elektrischen Kamin mit drei Elementen und einem vorgetäuschten Flammeneffekt beherbergte. Auf dem Couchtisch lag das neue Buch von Mary Wesley mit dem Cover nach oben aufgeschlagen, daneben eine Ausgabe der Radio Times und ein mit milchigem Tee halb gefüllter Tonbecher.
Auf dem Kaminsims standen ein paar Familienfotos in vergoldeten Rahmen. An der Wand über dem Kamin hing ein Druck von Ganescha, dem Elefantengott, in einem grellbunten, primitiven Stil. In der Ecke neben dem Fenster stand ein Fernsehgerät und auf dem Regal darunter ein Videorecorder. Zudem war das Zimmer mit einer Ministereoanlage und mehreren Ständern mit CDs, einer Hausbar mit Glastüren, in der Kristallgläser aufbewahrt wurden, sowie einem kleinen Bücherregal eingerichtet, das vor allem mit modernen Romanen und Büchern über Musik gefüllt war.
Aber es war das andere Ende des Raumes, das Banks Interesse weckte, denn dort stand ein Notenständer mit ein paar Notenblättern, und auf dem Stuhl daneben lag ein Instrument, das er im ersten Moment für eine übergroße Geige hielt, dann aber schnell als Bratsche erkannte.
Die Frau setzte sich auf das Sofa und zog ihre Beine neben sich, während Banks und Susan in den Sesseln Platz nahmen.
»Sind Sie Musikerin?«, fragte Banks.
»Ja«, sagte sie.
»Hauptberuflich?«
»Na ja, ich spiele bei der Northern Philharmonia und mache nebenbei etwas Kammermusik. Warum?«
»Reine Neugierde.« Banks war beeindruckt. Die English Northern Philharmonia spielte unter anderem für die Opera North und wurde weit und breit für eines der besten Opernorchester des Landes gehalten. Er hatte erst kürzlich die vorzügliche Inszenierung der Opera North von La Boheme gesehen und musste dabei Pamela Jeffreys spielen gehört haben.
»Ms. Jeffreys«, begann er nach kurzem Schweigen. »Ich muss zugeben, dass uns Ihr Anruf ein bisschen verwirrt hat.«
»Was glauben Sie, wie dieser Blödsinn in der Zeitung mich verwirrt hat?« Sie hatte keinerlei indischen Akzent; sie sprach wie jeder in West Yorkshire, allerdings mit einem kultivierten Universitätseinschlag.
Banks zog ein neueres Foto Keith Rothwells in guter Qualität aus seiner Tasche und reichte es ihr. »Ist das der Mann, über den wir sprechen?«
»Ja, ich glaube, das ist Robert, obwohl er hier drauf ein bisschen steif aussieht.« Sie gab es ihm zurück. »Da liegt ein Irrtum vor, oder? Es muss jemand sein, der genauso aussieht wie er.«
»Wie sah Ihre Beziehung zu ihm aus?«
Sie spielte mit ihrer Kette. »Wir sind Freunde. Vielleicht waren wir einmal mehr
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