Inspector Alan Banks 07 Die letzte Rechnung
etwas trinken gegangen. Sie hatten Geschäftliches zu besprechen.«
Also hatte Rothwell am Tag vor seiner Ermordung Clegg in Leeds aufgesucht, fast zwei Wochen nachdem der Brief ihre Zusammenarbeit beendet hatte. Warum? In Rothwells Terminkalender war dieser Besuch nicht eingetragen gewesen. »Welchen Eindruck machte Mr. Rothwell?«, fragte er.
»Keinen anderen als sonst.«
»Und Mr. Clegg?«
»Normal, wie immer. Warum fragen Sie?«
»Haben Sie eine Spannung zwischen den beiden bemerkt? «
»Nein.«
»Ist hier in letzter Zeit etwas Merkwürdiges passiert? Hat Mr. Clegg zum Beispiel seltsame Nachrichten erhalten?«
»Ne-hein.« Sie zögerte. Er würde später darauf zurückkommen.
Banks schaute sich in dem kleinen, aufgeräumten Vorzimmer um. »Geht alles über Ihren Tisch? Post, Anrufe?«
»Das meiste, ja. Aber Mr. Clegg hat auch einen separaten Anschluss.«
»Verstehe. Wie hat er auf die Nachricht von Mr. Rothwells Tod reagiert?«
Sie betrachtete Banks eingehend und schien sich dann zu entscheiden, ihm zu vertrauen. Sie seufzte und legte ihre Hände auf den Schreibtisch. »Das ist genau das Problem«, sagte sie. »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen. Er war nicht hier. Ich meine, er hat nicht einfach mal eben das Büro verlassen. Er ist verschwunden. Hat sich in Luft aufgelöst.«
»Verschwunden? Haben Sie die Polizei benachrichtigt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte nicht wie ein Idiot dastehen.«
»Hat er so etwas schon einmal getan?«
»Nein. Nie. Aber wer weiß, wenn er einfach nur so verschwunden ist ... mit einer Frau oder so ... Ich meine, das könnte doch sein, oder?«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Am letzten Donnerstag. Er hat das Büro ungefähr um halb sechs verlassen und danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Am Freitagmorgen kam er nicht zur Arbeit.«
»Haben Sie versucht, ihn zu Hause zu erreichen?«
»Ja, aber es war immer nur der Anrufbeantworter dran.«
»Hat er etwas von einer Geschäftsreise erwähnt?«, fragte Banks.
»Nein. Und normalerweise sagt er mir Bescheid, wenn er für längere Zeit unterwegs ist.«
»Wissen Sie, welche Art von Geschäftsbeziehung Mr. Clegg zu Keith Rothwell unterhielt?«
»Nein. Ich bin nur seine Sekretärin. Mr. Clegg hat mich nicht ins Vertrauen gezogen. Ich weiß nur, dass Mr. Rothwell hin und wieder ins Büro gekommen ist und die beiden manchmal gemeinsam mittaggegessen haben oder nach der Arbeit etwas trinken gegangen sind. Ich wusste, dass Mr. Rothwell Steuerberater war, also nahm ich an, es hatte etwas mit Steuern zu tun. Mr. Clegg ist auf Steuerrecht spezialisiert, müssen Sie wissen. Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.«
»Vielleicht können Sie mir doch helfen. Es ist doch ein komischer Zufall, dass Mr. Rothwell getötet wird und ungefähr zur gleichen Zeit Mr. Clegg verschwindet, oder nicht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe von Mr. Rothwells Tod erst am Samstag gehört. Ich habe nie daran gedacht...«
»Haben Sie jemals von einem Robert Calvert gehört?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher? Hat Mr. Clegg den Namen nie erwähnt?«
»Nein. Er war kein Mandant. Daran würde ich mich sicherlich erinnern.«
»Warum haben Sie sich nicht mit der Polizei in Verbindung gesetzt, als Sie bemerkt haben, dass Mr. Clegg verschwunden ist, und sie von dem Mord an Mr. Rothwell gehört haben?«
»Warum sollte ich? Mr. Clegg hatte eine Menge Mandanten. Und er kannte eine Menge Geschäftsleute.«
»Aber die werden normalerweise nicht ermordet.«
Sie nieste. »Nein. Wie gesagt, was passiert ist, ist tragisch, aber ich verstehe nicht, was es mit Mr. Clegg zu tun haben soll.«
»Vielleicht hat es etwas damit zu tun, vielleicht auch nicht«, sagte Banks. »Aber glauben Sie nicht, das sollten besser wir entscheiden?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Sie griff wieder nach ihrem Taschentuch. Als sie sich dieses Mal die Nase putzte, löste es sich in seine Bestandteile auf. Sie warf es in den Mülleimer und zog ein neues aus der Packung auf ihrem Schreibtisch.
Banks beobachtete sie genau. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie log oder dem Thema auswich; sie verstand einfach nicht, worauf er hinauswollte. Manchmal erwartete er von jedem Menschen, dass er die Welt mit dem gleichen Misstrauen und Zynismus betrachtete wie er.
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