Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
hatte, würde sie ihn natürlich nicht hereinlassen wollen.
Würde er es wagen, einzubrechen? Vielleicht. Er wusste es nicht. Der Adresse nach zu urteilen, befand sich ihre Wohnung wahrscheinlich in einem dieser für London typischen drei- oder viergeschossigen Häuser. Wenn er draußen warten würde, bis sie herauskam, und sie dann auf der Straße ansprach ... Vielleicht musste sie noch etwas einkaufen oder wollte sich mit jemandem treffen. Aber dafür war es schon ein bisschen spät. Am besten wartete er einfach, bis ein anderer Mieter hineinging, dann könnte er die Tür erreichen, bevor sie ins Schloss fiel, und so wenigstens ins Haus gelangen.
Als er bei Rot eine Seitenstraße überquerte, hupte ein weißer Sportwagen. Er zeigte dem Fahrer das VictoryZeichen, blieb mit einem Fuß am Bordstein hängen und stieß beim Stolpern mit einem älteren Mann zusammen, der im Regen seinen Hund ausführte. Der Mann sah ihn böse an, rückte seine Brille zurecht und ging weiter.
Wie es ihm das Paar gesagt hatte, bog er nach links ab und war plötzlich der einzige Fußgänger in einer ruhigen Seitenstraße. Die Häuser waren alle ungefähr drei Stockwerke hoch, in einzelne Wohnungen aufgeteilt und hatten eine Gegensprechanlage an der Eingangstür. Es würde nicht einfach werden.
Viele Räume waren erleuchtet, manche hatten keine Vorhänge, und im Weitergehen schaute er durch die Fenster und sah Ausschnitte einer blauen Wand, die obere Ecke eines Bücherregals, einen gerahmten Druck von Dali, einen verzierten Kronleuchter, flimmernde Fernsehbilder, zwei sich unterhaltende Leute, eine auf dem Fensterbrett sitzende Katze, die den Regen beobachtete - ein Panorama des Lebens.
Beim Gehen hatte sich Owen etwas beruhigt, doch er wollte Michelle immer noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, und sei es nur deshalb, um zu sehen, wie sie sich wand, während er sie ihrer Verbrechen beschuldigte.
Er stieg die Stufen hoch und sah sich die Klingelschilder neben der Tür an. M.E. Chappel, Apartment 4. War das in der ersten oder in der zweiten Etage? Er hatte keine Ahnung. Er ging auf die andere Straßenseite und schaute hinauf. Die beiden Fenster in der zweiten Etage waren dunkel, genauso die im Erdgeschoss. In einem Fenster in der ersten Etage schimmerte bläuliches Licht durch die Vorhänge, in dem anderen waren die Vorhänge geöffnet und man sah eine Tapete im William-Morris-Design. Das konnte nicht Michelle sein. Das blaue Zimmer passte schon eher zu ihr.
Er stand im Dunkeln und fragte sich, was er tun sollte. Regen trommelte herab und legte einen öligen Glanz auf die Straße. Er war nicht mehr ganz so mutig wie in dem Moment, als er den Pub verlassen hatte. Die Wirkung des Alkohols ließ nach und er hatte Kopfschmerzen. Er brauchte noch einen Drink, aber es war schon kurz vor elf, die Pubs machten gleich zu. Außerdem würde Michelle wahrscheinlich bald ins Bett gehen. Da er jetzt hier war, konnte er nicht bis morgen warten.
Ein Mann und eine Frau näherten sich eng umschlungen unter einem Regenschirm dem Haus, bogen auf den Pfad und stiegen die Stufen hoch. So wie sie gingen, vermutete Owen, dass sie ein wenig beschwipst waren. Wahrscheinlich waren sie arbeitslos und mussten am Morgen nicht aus dem Haus. Er wich zurück in die Dunkelheit. Der Mann sagte etwas und die Frau lachte. Sie schüttelte ihren Regenschirm über den Stufen aus. Es war nicht Michelle.
Nachdem sie sich wieder zur Tür umgedreht hatten, lief Owen über die Straße. Es war verdammt riskant, aber es könnte funktionieren. Sie hatten ihm den Rücken zugekehrt, die Straße war nicht hell erleuchtet und sie konnten ihn wegen des Regens und des Donnerns nicht hören. Adrenalin schoss durch seine Adern und schien seinen Mut wieder zu entfachen. Jetzt hatte er es fast geschafft. Alles hing davon ab, wie langsam die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.
Sobald die beiden drinnen waren und der Mann die Tür losließ, stürmte Owen auf Zehenspitzen die Stufen hoch und streckte seine Hand aus. Er stoppte die Tür gerade noch rechtzeitig, bevor sie vollständig zurückgeschwungen war und verriegelte.
Er schaute sich um zu den Häusern auf der anderen Straßenseite. Soweit er erkennen konnte, beobachtete ihn niemand. Er hörte, wie eine andere Tür im Haus geöffnet und wieder geschlossen wurde, dann ging in einer der Wohnungen im Erdgeschoss das Licht an.
Sachte schob Owen die Tür auf und schlüpfte
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