Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
immer größere Bedeutung.
Natürlich war alles relativ. Für ein verhungerndes Kind in einem äthiopischen Dorf zum Beispiel wäre das Gefängnisessen ein Luxus gewesen und die ein oder zwei Stunden Ruhe von der Qual des Hungers würden Freiheit bedeutet haben. Menschen, die verhungern, waren nicht wirklich frei. Aber für jemanden wie Owen, einen gebildeten Menschen aus der Mittelschicht, der in England lebte und dem es an nichts fehlte, bestand Freiheit aus einer Vielzahl von Kleinigkeiten, von denen eine abstrakter als die andere war. Im Grunde ging es vor allem darum, die Wahl zu haben.
Eingeschlossen in seiner engen, einsamen Zelle hatte Owen aber wenigstens seine Ruhe. Hier war er sicher vor den Bürokraten, den Reportern und den Frauen, die ihn mit blankem Hass in den Augen angestarrt hatten. Er war geschützt vor der Masse draußen, die sein Blut wollte, und vor den Polizeibeamten, die unbedingt die Hülle seines Lebens aufreißen und ihre Hände tief in die glitschige Dunkelheit dahinter stecken wollten.
Mittlerweile war seine Zelle der einzige Ort, an dem er sich sicher fühlte. Die Monotonie und die Isolation schützten ihn vor der boshaften Absurdität der Welt draußen.
* III
Jenny Füller stürzte zehn Minuten zu spät ins Queen's Arms, schälte sich aus ihrem schwarzen Mantel und legte ihn sorgfältig über die Lehne eines Stuhls. Sie warf ihren Kopf zurück, um ihr wallendes feuerrotes Haar in Form zu bringen, setzte sich dann und klopfte auf ihre Brust. »Außer Atem. Entschuldige, dass ich zu spät komme. Geht das auf Spesen?«
Dr. Jennifer Füller war Dozentin für Psychologie an der Universität von York. Im Laufe der Jahre hatte sie sich zunehmend auf Kriminal- und Devianzpsychologie konzentriert. Mittlerweile hatte sie sogar begonnen, auf diesem Gebiet zu publizieren, und sich schnell einen Namen gemacht. Deshalb war sie den Sommer über auch in Amerika gewesen. Banks hatte schon bei einigen Fällen mit ihr zusammengearbeitet, und aus einer anfänglichen gegenseitigen Anziehung war eine dauerhafte Freundschaft geworden, die beide erfreute und überraschte.
Banks lachte. »Leider nicht.«
»Schade. In Amerika habe ich mich gerade daran gewöhnt. Da geht alles auf Spesen.«
»Dann gebe ich wenigstens die erste Runde aus.«
»Wie nett. Für mich bitte einen kleinen Brandy zum Aufwärmen.«
»Und zum Essen?«
»Brathuhn.«
Auf dem Weg zum Tresen erkannte Banks ein paar lokale Ladenbesitzer und den Filialleiter der NatWest Bank, die Mittagspause machten. Cyril hatte zudem ein hübsches Feuer im Kamin gemacht. Der Tisch davor war bereits von einer Gruppe Wanderer in Wanderstiefeln und wasserdichter Kleidung besetzt, so dass sich Jenny und Banks an den Nachbartisch gesetzt hatten, nahe dem Fenster. Regen spritzte gegen die roten und bernsteinfarbenen Butzenkaros und verschmierte die klaren Scheiben. Mit den Getränken bestellte Banks Jennys Huhn und Scampi mit Pommes frites für sich.
Als Banks mit den Getränken zurückkam, rieb Jenny ihre Hände aneinander, schüttelte sich und nahm dann ihr Brandyglas. »Cheers!«, sagte sie. Sie stießen an. »Hattest du ein schönes Weihnachtsfest?«
»Das Übliche. Meine Eltern waren an Heiligabend da, Sandras am ersten und zweiten Feiertag.«
»Und wie geht es Sandra?«
»Gut.«
Jenny trank noch einen Schluck Brandy. »Du hast also deinen Mann hinter Schloss und Riegel gebracht«, stellte sie fest. »Da kannst du dir ja noch einen Orden anhängen lassen.«
Banks nickte. »Sieht so aus.«
»Ich nehme an, dass du darüber mit mir sprechen möchtest und dass es nicht nur ein Trick ist, in das Vergnügen meiner Gesellschaft zu kommen, oder?«
Banks lächelte. »Ja zur ersten Frage. Was nicht heißt, dass ich Letzterem abgeneigt bin.«
»Hör auf, du Charmeur! Du treibst einer Dame ja die Schamesröte ins Gesicht. - Wie kann ich dir helfen?«
Banks zündete sich eine Zigarette an. »Ich weiß nicht, ob du mir helfen kannst. Oder ob du mir helfen willst. Hör mir erst einmal zu und sage mir, ob ich mich verrenne.«
Jenny nickte. »Okay.«
Banks erzählte, was sie über Owen Pierce und Michelle Chappel wussten, betonte, dass Owen nur widerwillig zugegeben hatte, Michelle zu kennen, erwähnte ihre Ähnlichkeit mit Deborah Harrison und beschrieb schließlich, was Owen Michelle laut ihrer Aussage angetan hatte.
Als er geendet hatte, sagte
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