Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Er hatte nichts gegen exotisches Essen, aber aus Erfahrung misstraute er den Pub-Versionen solcher Gerichte. Außerdem schmeckte er noch immer das Curry nach, das er am vergangenen Abend in Leeds gegessen hatte.
Er trug die Getränke zum Tisch, wo Jenny über Der Schatten des Todes brütete, mit einer Hand das Haar aus dem Gesicht haltend. Als er sich näherte, lächelte sie ihn kurz an und schlug das Buch zu. »Ich glaub, das habe ich drüben mal im Fernsehen gesehen«, sagte sie und strich über den Umschlag. »Auf PBS. Hinterher wurde sie interviewt. Vivian Elmsley. Sie ist sehr beliebt in den Staaten. Eine ganz schön eindrucksvolle Frau.«
Banks berichtete kurz vom bisherigen Verlauf des Falles, auch von der Möglichkeit, dass Vivian Elmsey darin eine Rolle spielen könnte. Als er geendet hatte, kam das Essen.
»Und, ist es so gut, wie du dachtest?«, fragte er, nachdem sie ein paar Bissen probiert hatte.
»Ist es nie«, antwortete Jenny. Er bemerkte eine ungewohnte Traurigkeit und Müdigkeit in ihren Augen. »Aber es ist gut.«
»Was ist da drüben passiert?«
»Wie meinst du das?« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, wandte ihn dann schnell wieder ab. Zu schnell. Er sah die Angst in ihren Augen.
Er dachte daran, wie er sie zum ersten Mal in Gristhorpes Büro gesehen hatte, kurz nachdem er in Eastvale eingetroffen war, wie ihn ihr scharfer Verstand und ihr Humor beeindruckt hatten, genau wie ihre natürliche Schönheit, ihr flammendrotes Haar, die vollen Lippen und grünen Augen mit den attraktiven Lachfalten.
Damals war Jenny Füller 31 gewesen, jetzt war sie fast 38. Die Falten waren tiefer geworden und es schien jetzt noch andere Ursachen für sie zu geben. Sein erster Eindruck von ihr war: Ist das eine Granate! Genau das Gleiche dachte er heute. Sie hatten kurz vor einer Affäre gestanden, aber Banks hatte einen Rückzieher gemacht, wollte nicht untreu werden. Damals war er anders gewesen, selbstsicherer und überzeugter davon, worum es im Leben ging und in welche Richtung es verlief. Damals war das Leben einfacher gewesen, aber vielleicht hatte er auch nur eine absolute Sichtweise gehabt. Immerhin war es ihm einfach vorgekommen: Er liebte Sandra und glaubte, dass sie ihn liebte; daher ging er allem aus dem Weg, das diese Eintracht hätte gefährden können, wie groß die Versuchung auch sein mochte. Sie waren gerade von London, wo Banks sich ausgebrannt gefühlt hatte, in diese weniger hektische Gegend gezogen, auch um ihre Ehe zu retten. Bis zu einem bestimmten Punkt hatte es funktioniert. Sieben Jahre lang.
Trotz allem waren Banks und Jenny befreundet geblieben. Jenny war sogar Sandras Freundin geworden, auch wenn Banks den Eindruck hatte, dass sie sich in den letzten zwei oder drei Jahren entfremdet hatten.
»Los, komm, Jenny«, sagte er. »So plötzlich zurückzukommen stand doch nicht auf dem Plan. Ich dachte, du wärst jetzt ein kalifornischer Strandhüpfer geworden.«
»Ein Strandhüpfer?« Jenny lachte. »Ich schätze, das habe ich so gerade verpasst, oder?«
»Wie meinst du das?«
Sie seufzte, wandte den Blick ab, suchte nach Worten, seufzte wieder und lachte dann. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie wirkte viel zappeliger, als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Hände waren ständig in Bewegung. »Es ist alles aus, Alan. Das will ich damit sagen.«
»Was ist aus?«
»Alles. Der Job. Randy. Mein Leben.« Sie legte den Kopf schräg. »Ich hatte noch nie Glück mit Männern, oder? Ich hätte schon früher auf dich hören sollen.«
Da gab es nichts zu diskutieren. Banks erinnerte sich noch an einen oder zwei von Jennys Fehlgriffen, um deren Folgen er sich anschließend hatte kümmern müssen.
Jenny schob den Teller zur Seite, Scampi und Pommes frites waren kaum angerührt, und trank noch einen langen Schluck Campari Soda. Ihr Glas war fast leer, Banks hatte sein Bier kaum angerührt. Er wollte keins mehr. »Noch eins?«, fragte er.
»Werde ich jetzt auch noch Alkoholikerin? Nein, darauf brauchst du nicht zu antworten. Ich hol mir selbst eins.« Bevor er etwas sagen konnte, war sie aufgestanden und in Richtung Damentoilette gegangen.
Banks vertilgte Scholle und Pommes frites und betrachtete den Buchrücken von Der Schatten des Todes neben sich auf dem Tisch. »Ein Meisterwerk«, »Ein Werk erster Güte«, »Ein Muss im Regal«. So sehr liebten die Kritiker Vivian Elmsley. Oder waren diese kurzen Zitate
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